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Einheitspatent, E-Mobilität und E-Dienste
Podiumsdiskussion mit (von links): Ulrich Walter, Prof. Dr. Timo Jacob, Barbara Diehl, Martin Schuster, Nadine Hölzinger und Dr. Volker Rüger
Das DPMAnutzerforum 2022 diskutierte über erneuerbare Energien, europäische Anmeldungen und neue Herausforderungen für das DPMA
Das DPMAnutzerforum 2022 – Motto: „Virtuell. Vernetzt. Vielfältig.“ – fand erneut als Online-Fachtagung statt. Pandemiebedingt mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer leider wieder auf den persönlichen Austausch vor Ort verzichten, dafür hatte die digitale Veranstaltung aber „eine Reichweite wie nie zuvor“, so DPMA-Präsidentin Cornelia Rudloff-Schäffer. Rund 1000 Gäste hatten sich vorab angemeldet, um den Live-Stream des DPMAnutzerforums auf YouTube zu verfolgen. Die Gäste konnten online Fragen stellen und an Umfragen teilnehmen. Die Vorträge, Diskussionen und Seminare wurden nutzerfreundlich auf drei Tage verteilt.
Innovationen bei der Energieerzeugung waren ein Schwerpunkt der Fachtagung: Wie dringend diese benötigt werden, zeige sich in der aktuellen politischen Situation „wie in einem Brennglas: Es wird uns deutlich wie nie zuvor vor Augen geführt, in welchem Umfang wir von fossilen Energieträgern abhängig sind“, sagte Cornelia Rudloff-Schäffer in ihrem Vortrag. „Durch große technologische Anstrengungen können und müssen wir die Souveränität unseres Landes bei der Energieversorgung fördern und erreichen“.
„Need for Speed“
Auch bei der Bewältigung des Klimawandels spielt die Art und Weise der Energieerzeugung eine Schlüsselrolle. „Sauberer“ Strom muss mit Hilfe neuer Technologien aus erneuerbaren Energien wie Wasser, Wind, Sonne, Erdwärme und Biogas gewonnen werden. „Hier sehe ich ‚Need for Speed‘“, so die DPMA-Präsidentin, „unsere Innovationsanstrengungen müssen einfach dynamischer werden!“
Immerhin: Deutsche Unternehmen haben bei Technologien, die einer klimaschonenden Mobilität dienen, auf ihrem Heimatmarkt eine führende Stellung. In allen vier untersuchten Technikbereichen zur Mobilität liegt Deutschland auf Platz 1 der anmeldestärksten Länder (siehe dazu die Pressemitteilung vom 29.03.2022).
Leider jedoch stagniert die Entwicklung bei der alternativen Energieerzeugung seit Jahren, wie die Präsidentin in ihrem Vortrag darlegte. Die Patentanmeldungen auf diesem Gebiet haben sich seit 2012 etwa halbiert. Besonders ins Auge fällt hierbei der Rückgang der Solartechnik mit einem Minus von 62,3%. „Wir hoffen im Bereich der regenerativen Energien wieder auf mehr Innovationsdynamik und dass unsere Unternehmen die großen wirtschaftlichen Chancen für die Technologieführerschaft im Bereich erneuerbare Energien ausschöpfen werden“, so Rudloff-Schäffer. „Der Klimawandel erfordert einfach ein Umdenken.“
Elektroantriebe im Kommen
Eine Analyse der im Bereich alternative Antriebstechniken angemeldeten Patente sei dafür „durchaus ermutigend“, so Rudloff-Schäffer: Während seit 2016 die Zahl der veröffentlichten Erfindungen rund um den Verbrennungsmotor stark zurückgegangen ist, war die Innovationsdynamik bei den Elektroantrieben groß: Mit 684 Patentanmeldungen sind es 50% mehr als noch vor 10 Jahren. Besonders positiv fällt die starke Zunahme an Erfindungen im Bereich Batterien auf. Auch bei Brennstoffzellen gibt es immer mehr Innovationen. E-Fuels sind zwar noch ein Randgebiet, aber eines, das an Fahrt aufnimmt. „Für uns ist das ein Indikator für den radikalen technologischen Wandel in der Automobil-Industrie“, so Rudloff-Schäffer.
Im vergangenen Jahr wurden 58.568 Erfindungen beim DPMA zum Patent angemeldet. Das ist zwar die größte Zahl von nationalen Anmeldungen in Europa, aber doch 5,7 % weniger als 2020. Hier schlagen sich noch immer die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie nieder, so Rudloff-Schäffer: Viele Unternehmen wählten restriktiver aus, welche Entwicklungen sie anmelden.
So viele Patentverfahren abgeschlossen wie seit über 30 Jahren nicht mehr
Ein anderer Negativtrend ist dagegen gestoppt: Bei der Zahl der wirksamen Prüfungsanträge setzte sich der pandemiebedingte Rückgang nicht mehr fort. Die Anträge auf Patentrecherche stiegen 2021 sogar um fast 5 Prozent. „Dies zeigt uns deutlich, dass die Nachfrage nach Patenten nicht grundsätzlich nachlässt“, so Rudloff-Schäffer.
Das DPMA hat 2021 so viele Patentverfahren abgeschlossen wie seit über 30 Jahren nicht mehr: 48.489 Patentprüfungsverfahren waren es und damit 16,1% mehr als im Jahr davor. Auch die Zahl der Patenterteilungen lag mit auf Rekordniveau innerhalb der letzten 30 Jahre (siehe dazu die Pressemitteilung vom 9.3.2022).
„Die hohe Zahl der Abschlüsse führte 2021 auch dazu, dass wir erstmals seit vielen Jahren unseren Bestand anhängiger Prüfungsverfahren verringern konnten“, sagte Rudloff-Schäffer. „Das bedeutet für unsere Kundinnen und Kunden, dass sich auch die Verfahrensdauer in den kommenden Jahren erheblich verkürzen wird.“
Marken-Boom dank Pandemie
Die Marke verzeichnet als einziges Schutzrecht weiterhin einen Zuwachs - „nicht trotz, sondern gerade wegen der Pandemie“, so die Präsidentin. Der Markenboom hält auch im zweiten Corona-Jahr an und spiegelt die Umbrüche in der Gesellschaft und im Leben wider: Viele neue Online-Angebote sind entstanden, und wer im Internet verkaufen oder seine Dienste anbieten will, benötigt heute oft eine Marke.
2021 wurden mit 92.317 Markenanmeldungen nochmal fast 3.000 Marken mehr als 2020 angemeldet. Besonders die Nennungen für die Klassen Haushalts- und Küchengeräte, Nahrungsmittel, Spiele- und Sportartikel sowie Getränke nahmen stark zu.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DPMA schlossen 91.613 Markenverfahren (+ 15,1%) ab und trugen 68.597 neue nationale Marken ins Register ein (+ 13,5%): Ein Rekord in der Geschichte des Amts.
Gebrauchsmuster und Designs rückläufig
Beim Gebrauchsmuster ist der kleine Wachstumsschub von 2020 leider schon wieder vorbei. Das Schutzrecht hat mit 10.577 Anmeldungen ein Minus von 14,1% im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Auffällig sei, so Rudloff-Schäffer, dass dieses schnelle und kostengünstige technische Schutzrecht beim DPMA besonders häufig von chinesischen Anmeldern strategisch genutzt werde. Aus China kamen 2021 mehr als 10 Prozent aller Anmeldungen (1189) und damit mehr als aus allen europäischen Ländern zusammen (1145).
Auch das Schutzrecht Design war 2021 rückläufig, nämlich um 10,1 % (36.070 Anmeldungen). „Möbel“ bleiben als Warenklasse unangefochten an erster Stelle, gefolgt von den Klassen „Grafische Symbole“, „Kleidung“, „Beleuchtungsapparate“ sowie „Bauten und Bauelemente“.
Neue Aufgaben für das DPMA
Zum Schluss ging Rudloff-Schäffer auf die beiden neuen Gesetze ein, die das DPMA betreffen. Das Zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts (kurz: 2. PatMoG) vom August 2021 trat bereits teilweise in Kraft. „Ab 1. Mai wird nun ein lang gehegtes Anliegen unserer Nutzerinnen und Nutzer erfüllt“, so die Präsidentin: Die Frist zur Einleitung der nationalen Phase für internationale Anmeldungen (PCT-Anmeldungen) wird auch beim DPMA als Bestimmungs- bzw. ausgewähltem Amt von 30 auf 31 Monate verlängert.
Ab Sommer werde es voraussichtlich die Möglichkeit geben, an Verhandlungen und Anhörungen per Videokonferenz teilzunehmen. „Wir arbeiten gerade intensiv an der rechts- und datenschutzsicheren Implementierung dieses erweiterten elektronischen Angebots. Allerdings könnten auch uns verlängerte Lieferketten etwas ausbremsen.“
Auf starkes Interesse auch bei den Partnerämtern in Europa und Übersee sei in den vergangenen Monaten der neue gesetzlich verankerte Auftrag des DPMA zur Information der Öffentlichkeit im Bereich des geistigen Eigentums und zur Zusammenarbeit mit anderen internationalen Behörden gestoßen. „Wir waren und sind da natürlich schon immer aktiv, aber nun ganz offiziell d i e zentrale Koordinations- und Anlaufstelle in Deutschland“, so Rudloff-Schäffer. Ein neuer Bereich werde am Informations- und Dienstleistungszentrum IDZ in Berlin aufgebaut, sobald die benötigten Planstellen genehmigt sind.
„Riesen-Projekt“ Einheitspatent vor Abschluss
Fester Programmpunkt jedes DPMAnutzerforums ist ein Beitrag des Bundesministeriums der Justiz, zu dessen Geschäftsbereich das DPMA gehört. Dr. Christian Wichard, Leiter der Unterabteilung III B, ist seit Jahren „Stammgast“ der Veranstaltung. Er gratulierte der Präsidentin zu den guten Erledigungszahlen des DPMA und lobte das „agile Amt“. Mit Moderator Ulrich Walter sprach Wichard über aktuelle Themen aus der Welt des geistigen Eigentums.
Ein Schwerpunkt des Gesprächs war das Europäische Einheitspatent. Wichard erklärte, warum das komplexe „Riesen-Projekt“ so lange gedauert hat und warum es in vieler Hinsicht einen Meilenstein darstellt. Insbesondere das künftige Europäische Patentgericht sei ein „riesiger Schritt“ für Europas Einigung: „das erste europäische Zivilgericht!“.
Bis es richtig losgeht, wird es noch etwas dauern. Richter müssen berufen, Infrastruktur an den verschiedenen Standorten wie Paris oder München eingerichtet werden. Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres, schätzte Wichard, könne das Europäische Patentgericht seine Arbeit aufnehmen.
„One-stop-shop für Europa"
Er empfahl der Industrie, sich auf das Einheitspatent gründlich vorzubereiten, denn es erweitere die strategischen Möglichkeiten für Anmelder enorm. 17 europäische Länder werden zum Start daran teilnehmen. Die Gebühren werden attraktiv und in bestimmten Konstellationen günstiger als beim bekannten Bündelpatent sein, versprach Wichard.
Einen „One-stop-shop“ für Europa werde das Einheitspatent bieten – Verwaltung und Validierung aus einer Hand, so Wichard: „Ich verspreche mir davon einen Schub für den gemeinsamen europäischen Markt“.
Weitere Themen des Gesprächs mit Moderator Walter waren eine mögliche Öffnung des Gebrauchsmusters für Verfahren, der Umgang mit dem „injunction gap“ und die neuen Aufgaben für das DPMA, die sich aus dem „2. PatMoG“ ergeben: Das Amt erhalte dadurch die gesetzliche Grundlage für eine umfassende, aktive Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Schutzrechte. Es könne nun endgültig zur „Zentralstelle für geistiges Eigentum in Deutschland“ werden, so Wichard - wenn die dafür benötigen neuen Stellen bewilligt würden.
Impfstoff-Zwangslizenzen? „System nicht untergraben!“
Das digitale Format des DPMAnutzerforums ermöglichte es allen Gästen, während der Veranstaltung Fragen über ein Umfrage-Tool einzusenden. Ein heiß diskutiertes aktuelles Thema fehlte dabei nicht, nämlich die Forderung nach einer „Freigabe der Patente auf Covid-Impfstoffe“. Wichard sprach sich klar dagegen aus, da den Unternehmen dadurch die Anreize für Investitionen und Innovationen genommen würden: „Wir dürfen dieses System nicht untergraben“. Vielversprechender als die geforderten Zwangslizenzen seien aktuelle Initiativen, die Erleichterungen etwa für Produktionsstätten in Entwicklungsländern suchten. Man sei hier schon gut vorangekommen, „es ist sehr viel passiert“.
Die geplante Erhöhung der Patentgebühren verteidigte Wichard aufgrund ihrer „innovationspolitischen Lenkungswirkung“. Von einem EU-Pilotprojekt zu Standardessentiellen Patenten (SEP) erhofft er sich einen „Transparenzschub“.
Welche Mobilität wird die Zukunft prägen?
Anschließend wurde kräftig über die „Mobilität der Zukunft“ diskutiert: „Batterie, Brennstoffzelle oder E-Fuels – wohin geht die Reise?".
Aus der Sicht des Patentprüfers, die Dr. Volker Rüger (DPMA) vertrat, sind bestimmte Tendenzen auszumachen: die Patentanmeldungen zu Verbrennungsmotoren gehen zwar stark zurück, zeigen aber dennoch ein vergleichsweise hohes Niveau. Die Anmeldungen rund um die Brennstoffzelle und Batterien steigen dagegen zwar stetig, aber derzeit möglicherweise noch nicht stark genug, um in absehbarer Zeit einen echten Umbruch zu bewirken. Weiterhin sind die zehn größten Patentanmelder beim DPMA Automobilhersteller oder deren Zulieferer.
Der Vertreter der Autoindustrie auf dem Podium, Martin Schuster von der BMW Group, glaubt, dass der Verbrennungsmotor weiterhin eine Zukunft hat. Mobilität bleibe ein sehr individuelles Bedürfnis, daher gebe es keine pauschalen Lösungen. Wichtig sei es, auf die CO2-Neutralität aller Antriebe und eine geeignete Infrastruktur im Land hinzuarbeiten.
„Ein Drei-Tonnen-SUV ist und bleibt ein Energieverschwender“
Daran anknüpfend betonte Nadine Hölzinger (Spilett New Technologies GmbH, Berlin), dass doch die eigentliche Frage sei, was - und vor allem, mit welcher Effizienz - im Motor verbrannt werde. „Ein Drei-Tonnen-SUV ist niemals effizient, das ist und bleibt ein Energieverschwender!“ Außerdem müsste vor allem die Zahl der Autos reduziert werden: „Wenn statt 45 Millionen PKW nur noch 20 Millionen herumfahren würden, könnten ruhig noch ein paar Verbrenner dabei sein“.
Daher, so Barbara Diehl, biete On demand-Mobilität einen vielversprechenden Ansatz: Car-sharing, bereits jetzt vielfach praktiziert, könnte in Kombination mit besser ausgebauten öffentlichen Verkehrsmitteln ausreichend individuelle Bewegungsfreiheit ermöglichen, um den Verzicht aufs eigene Auto zu erleichtern. Die Mitarbeiterin der Bundesagentur für Sprunginnovation (Leipzig) mahnte auch an, den Rest der Welt im Auge zu behalten, besonders im Hinblick auf die Nachnutzung hiesiger Autos oder die komplexen (Zu-) Lieferketten: „Von wem wollen wir uns in Zukunft abhängig machen?“ Sie regte an, auch das Nachdenken über Kernenergie nicht gänzlich auszuschließen.
„Abrüstung auf den Straßen“
Batterien, darin war sich die Runde weitgehend einig, haben durchaus ihre Tücken: sie sind zwar einigermaßen klima- aber absolut nicht umweltfreundlich. Die Beschaffung der benötigten raren Rohstoffe, vor allem Nickel und Lithium, ist teuer und mitunter politisch heikel. Außerdem gelte es zu hinterfragen, woher der benötigte Strom bezogen werde. Unbedingt müsse das Batterie-Recycling und die Wiederverwendung der wertvollen Komponenten optimiert werden.
Laut Prof. Dr. Timo Jacob vom Institut für Elektrochemie der Universität Ulm ist die Batterietechnologie noch lange nicht ausgereizt. Neue Forschungsfelder wie etwa Magnesium-Batterien böten erhebliches Potential. Derzeit sei die Brennstoffzelle „am nachhaltigsten“, aber es fehle leider an Infrastruktur. Jacob mahnte eine „Abrüstung auf den Straßen“ an und setzt seine Hoffnungen in eine umweltbewusste und energiesparende Generation.
Ein klares Fazit war danach nicht zu ziehen, so Moderator Walter: „Die Mobilität der Zukunft bleibt offen…“. Die abschließende Publikumsumfrage ergab immerhin eine eindeutige Botschaft: die große Mehrheit plant, als nächstes Auto ein Hybrid-Fahrzeug anzuschaffen.
Hybrid ist hip
Und eine zweite klare Mehrheit für „hybrid“ gab es bei der Frage, in welcher Form das nächste DPMAnutzerforum stattfinden soll: die weitaus meisten Gäste sprachen sich für eine „gemischte“ Veranstaltung aus Präsenz- und Online-Elementen aus. Der Termin steht schon fest: 28.-30. März 2023.
Abgerundet wurde das Nutzerforum 2022 durch jeweils drei Online-Seminare und Präsentationen an den folgenden Tagen. Dabei standen der E-Dienst DPMAdirektPro, der Umgang mit asiatischer Patentliteratur und die rechtssichere Offenbarung von Designs im Internet im Fokus.
Außerdem wurde erklärt, wie man effizienter durch das Patentverfahren kommt, wirkungsvoll in den E-Diensten des DPMA wie DEPATISnet recherchiert und was es „Aktuelles aus der Marke“ gibt.
Bilder: Frank Rollitz / DPMA
Stand: 21.03.2024
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