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Otto Lilienthals 175. Geburtstag
Otto Lilienthal 1894, fotografiert von Ottomar Anschütz
Der fliegende Erfinder
Er ist weltberühmt als „Vater der Fliegerei“: Otto Lilienthal, der am 23. Mai 1848 in Anklam geboren wurde. Weniger bekannt ist, dass Lilienthal ein vielseitiger Erfinder und Ingenieur war, der zusammen mit seinem Bruder Gustav etliche interessante Patente in den verschiedensten Bereichen anmeldete.
Otto Lilienthal zählt zu den bedeutendsten Figuren in der Geschichte der Luftfahrt. Er erforschte die theoretischen Grundlagen des Fliegens und setzte diese in die Praxis um. Lilienthal gab praktisch den Startschuss für die rasante Entwicklung der Luftfahrt ab der Jahrhundertwende.
Das Fliegen war Lilienthals Kindheitstraum. Von klein auf nutzte er jede freie Minute, um den Flug der Vögel zu studieren. Ob am Gymnasium in Anklam, während des Maschinenbaustudiums in Berlin, als Ingenieur in einer Maschinenfabrik oder später als selbstständiger Fabrikant – stets forschte und experimentierte Lilienthal nebenbei zum Geheimnis des Fliegens.
Bevor er seine weltberühmten Flugversuche machte, war Lilienthal als Konstrukteur erfolgreich: Für die Firma C. Hoppe entwarf er gemeinsam mit Gustav eine „Schräm-Maschine mit Messerscheibe“ zum Abbau von Kohle ( DE2291). Er erfand ein Sirenen-Nebelhorn für Leuchttürme, ein neues Verfahren zur Abwasser-Ableitung ( DE71479), eine Schraubensicherung ( DE44700) oder ein "Lesespiel" ( DE44540A).
Ein weltberühmtes Spielzeug
Außerdem entwickelten die beiden Brüder ein System-Spielzeug aus Bauklötzen, dessen Grundidee bis heute von Herstellern wie Lego oder Fischertechnik sehr erfolgreich vermarktet wird. 1880 melden die Brüder ein amerikanisches Patent dafür an ( US233780, „Composition toy building block“). Die Kästen mit den verschiedenfarbigen Bauklötzen aus Sand, Schlämmkreide und Leinöl wurden zunächst unter dem Namen des Pädagogen Jan Daniel Georgens auf den Markt gebracht – mit wenig Erfolg. Die Lilienthals verkauften deshalb an den begabten Unternehmer Friedrich Adolf Richter. Dieser arbeitete das Bauklotz-System weiter aus, meldete neue Patente (z.B. US706689) und Marken an, betrieb umfangreiches Marketing und machte das in Rudolstadt produzierte Architektur-Spielzeug zum Welterfolg.
Später griffen die Lilienthals die Idee wieder auf. Otto meldete 1888 erneut einen Modellbausatz zum Patent an ( DE46312). Es kam zu einem Rechtsstreit mit Richter, aus dem dieser letztlich als Sieger hervorging. Unter dem Namen „Anker-Steinbaukasten“ (DE-Wortmarke 2011940) war das Spielzeug bis in die 1960er Jahre auf dem Markt. 1995 wurde die Produktion wieder aufgenommen. Der Hersteller Ankerstein Gmbh (heute im Besitz der Arbeiterwohlfahrt Rudolstadt) bewirbt es als „ältestes Systemspielzeug der Welt“.
Schlangenrohr und Dampf
Der Rechtsstreit mit Richter scheint die Lilienthals viel Geld und Energie gekostet zu haben. Otto meldete aber in den frühen 1880er Jahren zwei Patente an, die sie wirtschaftlich wieder auf die Erfolgsspur führten: „Neuerungen an Dampfkesseln“ ( DE16103A) und den „Schlangenrohrkessel“ ( DE29080A). Lilienthal machte so die herkömmlichen Dampfmaschinen erheblich sicherer. Der finanzielle Erfolg verschaffte ihm Spielraum für die Arbeit am Fliegen.
Im Erfolg zeigte sich auch Otto Lilienthals menschliche Größe: der sportliche, künstlerisch und sozial engagierte Unternehmer beteiligte seine Arbeiter am Gewinn, unterstützte ein Theater finanziell und schrieb auch selbst ein Sozialdrama.
Vorbild Vogel
Nebenher arbeiten Gustav und er weiterhin unaufhörlich daran, die Gesetze des Fliegens zu verstehen. Sie führten systematische Luftwiderstandsmessungen an Modellen durch und bauten Schlagflügelapparate. Die Erkenntnisse aus den jahrelangen Forschungen veröffentlichte Otto 1889 in seinem Buch " Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" – ein Meilenstein. Manches daraus setzte die Standards bis heute. Mit einem „Polardiagram“ erfasste Lilienthal die Zusammenhänge von Auftrieb, Widerstand und Anstellwinkel verschiedener Flügeltypen und erkannte die Bedeutung des flach gewölbten Flügelprofils. Und gelangte zu der Erkenntnis: "Die Natur beweist uns jeden Tag aufs Neue, dass das Fliegen gar nicht so schwer ist".
Es bleibt aber nicht nur bei der Theorie. Lilienthal setzte seine Erkenntnisse in die Praxis um und baute seine ersten Gleiter aus Weide und Baumwolle. Die ersten Versuche mit selbstgebauten Segelflugzeugen fanden 1889 statt. Im Juni 1891 sprang er mit seinem Hängegleiter vom Mühlenberg bei Krielow (nahe Potsdam) und glitt etwa 15 Meter weit - die Geburtsstunde der Luftfahrt.
Bilder, die um die Welt gehen
Lilienthal sorgte dafür, dass seine Flugversuche fotografisch gut dokumentiert wurden. Andere Pioniere der Luftfahrt versäumten das; etwa Gustav Weißkopf, der den ersten Motorflug für sich reklamierte, aber nicht mit einem Foto beweisen konnte. Dank der spektakulären Fotos von seinen Sprüngen und Flügen wurde Otto Lilienthal weltberühmt. Er inspirierte Erfinder und Flugenthusiasten rund um den Globus.
Lilienthal ließ eigens einen „Fliegeberg“ nahe seiner Wohnung in Berlin-Lichterfelde für seine Versuche aufschütten (heute eine Gedenkstätte). Paul Beylich, Lilienthals Mitarbeiter bei den Fluggeräten, erinnerte sich später: "Als wir unsere Versuche machten, schrieb der Berliner Lokalanzeiger: 'Wer zwei Verrückte sehen will, muss nach Lichterfelde gehen.' Lilienthal mit seinem Mechaniker, sie wollen fliegen. Die Berliner kamen sonntags in Scharen raus. Und dann haben sie uns zugeschaut. Und wir sind immer über sie drüber gesegelt".
Patentierter Segelapparat
In den Rhinower Bergen segelte Lilienthal 1893 bis zu 250 Meter weit – ein Rekord, den lange niemand brach.
Bald hatten die Lilienthals dank ihrer Versuche ein taugliches Fluggerät geschaffen, das sie "Normal-Segelapparat" nannten. Dieser Eindecker hatte eine Flügelfläche von 13 Quadratmetern und eine Spannweite von 6,7 Metern. Er wurde in der "Maschinenfabrik Otto Lilienthal" produziert und fand einige Käufer, die aus der ganzen Welt kamen. Der faltbare "Normal-Segelapparat" war also das erste in Serie gefertigte Flugzeug der Welt. Lilienthal meldete ihn zum Patent an ( DE77916A, DE84417A; s.a. US544816). Dem „Flugapparat“ ist ein eigenes Poster (1,64 MB) in der Galerie der Erfindungen des DPMA gewidmet.
Der Gleiter war allerdings schwer zu handhaben: Der Pilot hing in der Mitte des Geräts wie ein lebender Steuerknüppel, denn nur durch das Bewegen der Beine und Gewichtsverlagerung ließ sich der Gleiter lenken. Mit den Armen stützte der Flieger sich ab und klammerte sich mit den Händen am Rahmen fest – ein enormer Kraftaufwand. Fünf dieser Fluggeräte sind weltweit noch erhalten.
2000 Sprünge und Flüge
Später experimentierte Lilienthal auch mit Vorflügeln, beweglichem Leitwerk und Schwingklappen an den Flügelspitzen. Auch Doppeldecker testete er erfolgreich. Er dachte über den Motorflug nach und plante, mit beweglichen Schwingen quasi flügelschlagend abzuheben. 21 verschiedene Fluggeräte soll er konstruiert haben. Rund 2000 Flugversuche unternahm Otto Lilienthal. Geschätzte fünf Stunden verbrachte er somit insgesamt in der Luft.
Dann aber kam der 9. August 1896. Am Gollenberg in Stölln bei Rhinow, wo er seit zwei Jahren bevorzugt flog, erfasste Lilienthal bei seinem vierten Flug des Tages eine „Sonnenbö“, eine thermische Ablösung. Er stürzte mit seinem Normalsegler aus einer Höhe von etwa 15 Metern ab. "Ich will mich nur ein bisschen ausruhen, dann geht's gleich weiter", soll der Schwerverletzte noch gesagt haben. Man transportierte ihn bewusstlos nach Berlin, wo er am nächsten Tag starb.
„Von allen, die das Problem des Fliegens im 19. Jahrhundert behandelten, war Otto Lilienthal zweifelsfrei der Bedeutendste“, schrieb Motorflug-Pionier Wilbur Wright 1912 über Lilienthal. „Die Welt steht tief in seiner Schuld.“
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: Ottomar Anschütz / Public domain via Wikimedia Commons / Lilienthal Museum Anklam, A. Regis / Public domain via Wikimedia Commons, Ankerstein GmbH, DEPATISnet, Carl Kassner / Public domain via Wikimedia Commons, unbekannt / Public domain via Wikimedia Commons, DEPATISnet
Stand: 09.04.2024
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