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Brüder Wright
Kill Devil Hills, 17. Dezember 1903, 10.35 Uhr
Kurzflug in die Geschichte
Sie sind so bekannt wie Kolumbus, die Gebrüder Wright: Jedes Kind kennt heute Orville und Wilbur Wright als die ersten Motorflieger der Welt. Am 17. Dezember 1903 machten sie am Strand von Kill Devil Hills nahe Kitty Hawk in North Carolina die ersten Kurzflüge mit ihrem „Flyer“. Allerdings dauerte es etliche Jahre, bis ihre Pionierleistung ganz anerkannt wurde. Dann aber ließ sich ihr Ruhm als erste Motorflieger bis heute nicht mehr erschüttern – trotz manch neuer Erkenntnisse.
Wilbur Wright (1867 - 1912) und sein Bruder Orville hatten schon länger dem Geheimnis des Fliegens nachgespürt. Aber erst die Nachricht vom tödlichen Absturz Otto Lilienthals 1896 veranlasste die Fahrrad-Fabrikanten, sich ganz dem Thema zu widmen. Sie konnten sich auf die Vorarbeit Lilienthals und anderer Vordenker wie Octave Chanute stützen. So hatte Lilienthal als Schlüssel zum menschlichen Flug den Auftrieb am gewölbten Tragflügel erkannt. Was er aber nicht mehr lösen konnte, waren die Grundfragen der Steuerung und des Antriebs. Lilienthal steuerte seine Gleiter per Gewichtsverlagerung, was in Ausnahmesituationen problematisch wurde und zu seinem Absturz führte. Und er strebte ein Antriebsprinzip mit der Nachahmung des Flügelschlags an, was aber bis heute nicht funktioniert. Beide Probleme lösten die Wrights.
Die Erfindung der Drei-Achsen-Steuerung
Sie konstruierten aerodynamische Ruder, mit denen sie ihr Fluggerät um seine drei Achsen bewegen konnten: Das Höhenruder hob oder senkte den Bug des Gleiters, das Seitenruder steuerte nach Links oder Rechts und das Querruder ermöglichte Drehungen um die Längsachse. Dieses Prinzip der Steuerung gilt bis heute bei den meisten Flugzeugen und ist die eigentliche Meisterleistung der Brüder Wright.
Diese Steuerung und weitere Eigenschaften ihres Gleiters gehörten zu den Ansprüchen des Patents, das sie am 23. März 1903 anmeldeten, lange vor ihren Flughopsern in Kitty Hawk. Ein Motorantrieb war in der Anmeldung noch nicht vorgesehen. Auf Basis dieses Patents, das am 22. Mai 1906 mit der Nummer US821393A (1,21 MB) erteilt wurde, sollten die Wrights bald umfangreiche Versuche unternehmen, jegliche Konkurrenz zur Lizenznahme zu zwingen.
Geschichte am Strand
Der motorisierte „Flyer“, der 1903 entstand, war aus heutiger Sicht verkehrt herum aufgebaut: das Höhenleitwerk befand sich am Bug statt am Heck; die zwei Propeller schoben das Flugzeug, statt es zu ziehen. Der Pilot lag auf der unteren Tragfläche des Doppeldeckers direkt neben dem Motor und bediente von dort die Ruder. Statt Räder gab es Kufen.
Am Morgen des 17. Dezember 1903 unternahmen Orville und Wilbur abwechselnd mehrere Flugversuche. Um 10.35 Uhr schrieb Orville 12 Sekunden lang Geschichte: Er flog 37 Meter weit. Dieser Moment gilt als erster Motorflug der Geschichte.
Die übrigen Flugversuche dieses Morgens waren länger; Wilbur schaffte sogar noch 260 Meter. Danach wirbelte der Wind den Flyer herum und beschädigte ihn, so dass er nie wieder flog.
Geheimhaltung für den Geschäftserfolg
Die Wrights schickten ihrem Vater ein Telegramm und baten ihn, die Presse über ihren Erfolg zu informieren. Die Nachricht wurde zwar weltweit verbreitet, löste aber nicht das Echo aus, das man aus heutiger Sicht erwarten würde. Damals gab es öfter Berichte über Flugversuche in aller Welt zu lesen. Der Erfolg der Wrights wurde nur vereinzelt als der Durchbruch wahrgenommen, als der er heute gilt.
Das lag auch an der Geschäftsstrategie der Brüder. Sie hatten von Anfang an die kommerzielle Verwertung ihrer Fluggeräte als Ziel. Deshalb wollten sie – nicht zuletzt auf Anraten ihres Patentanwalts Henry Toulmin - deren Konstruktion bis zur Marktreife geheim halten. So hielten sie die Bilder des Erstfluges zurück und gaben auch lange keine öffentlichen Vorführungen. Als potentiellen Kunden hatten sie vor allem das Militär im Blick.
Die Brüder verbesserten ihren Flyer im Geheimen kontinuierlich weiter (siehe US908929A, US1075533A (1,22 MB)). „Flyer III“ war ihr erstes Flugzeug, das diesen Namen verdiente und bis zu einer halben Stunde in der Luft bleiben konnte. Nun erst – mehrere Jahre nach ihrem Erstflug – suchten die Wrights wieder das Licht der Öffentlichkeit. Ab 1908 stellten sie ihr serienreifes „Model A“ weltweit bei Schauflügen vor.
Die Wrights in Europa
Dazu hatte sie nicht zuletzt die Konkurrenz gezwungen: Alberto Santos Dumont hatte im Herbst 1906 vor den Augen des Aéro-Club de France erfolgreich einige kurze öffentliche Flüge durchgeführt und galt seinerzeit als erster erfolgreicher Motorflieger der Welt. Jetzt gingen die Wrights in die Offensive, veröffentlichten Fotos von ihrem Erstflug und setzten ihr Patent ein, um den europäischen Markt zu erobern.
So demonstrierte Orville Wright 1909 in Berlin-Tempelhof die Fähigkeiten des „Model A“. Den Doppeldecker hatte er aus Amerika mitgebracht. Dieses Flugzeug, mit dem der Motorflug in Deutschland begann, ist heute im Deutschen Museum in München direkt neben dem DPMA zu sehen. Es gilt als einziges original erhaltenes Exemplar eines „Model A“.
In Berlin und anderswo gründeten die Wrights Fabriken und Flugschulen. Sie dominierten jetzt vorübergehend den Markt. 1909 wurde die "Flugmaschinen Wright GmbH" in Berlin-Johannisthal gegründet, die bis 1913 rund 60 Doppeldecker in Lizenz baute. Es war nach der Flugmaschinenfabrik von August Euler die zweite Flugzeugfirma in Deutschland.
Patentkrieg
Bereits 1904 hatten die Wrights ihren Ur-Flyer auch in Deutschland und Frankreich zum Patent angemeldet. Während etwa das französische Patent ( FR342188) - wie auch das britische ( GB190406732A) und österreichische ( AT23174B) - erteilt wurde, lehnte das Kaiserliche Patentamt ab, weil es offenbar mit Hinblick auf öffentliche Reden von Wilbur und Chanute aus den Jahren 1901 und 1903 keine Neuheit mehr gegeben sah.
Patentstreitigkeiten in mehreren Ländern überschatteten bald die Arbeit der Wrights. Sie waren mit ihren Geschäften und Rechtsstreitigkeiten so beschäftigt, dass sie ihre Flugzeuge kaum mehr weiterentwickelten. Bereits um 1911 hatte die europäische Konkurrenz sie technisch überholt; ihre Maschinen galten bald als veraltet. Besonders Wilbur, der entwicklerische Kopf der Brüder, war praktisch nur noch mit Patentstreitigkeiten beschäftigt, als er 1912 plötzlich an Typhus starb.
In den USA stritten sich die Wrights besonders mit dem Konkurrenten Glenn Curtiss. Die Prozesse schadeten dem Ansehen der Brüder. Curtiss spottete, die Wrights würden schon klagen, wenn jemand in die Luft spränge und mit den Armen winkte. Tatsächlich unterdrückten sie dadurch die Weiterentwicklung der Luftfahrt in den USA so sehr, dass diese beim Kriegseintritt 1917 auf französische Maschinen zurückgreifen mussten, da es keine konkurrenzfähigen amerikanischen Kampfflugzeuge gab.
Der Deal mit dem Smithsonian Institute
Die Gebrüder Wright 1910 (links Orville)
Mit Wilburs Tod ging die Ära der Wrights als Innovatoren endgültig vorbei. Jetzt kämpfte Orville nur noch um wirtschaftlichen Erfolg und vor allem um ihren Platz in der Geschichte. So erkannte die führende technikwissenschaftliche Institution der USA, das Smithsonian, die Wrights damals nicht als erste Motorflieger an. Sie propagierte stattdessen ihren ehemaligen Sekretär Samuel Pierpont Langley, der 1903 mit seinem „Aerodrom“ Versuche unternommen hatte, als ersten Motorflieger.
Erst 1942 revidierte das Smithsonian seine Haltung. Hintergrund war, dass Orville angedeutet hatte, den originalen Kitty Hawk-Flyer dem Museum (heute National Air and Space Museum) zu überlassen. 1928 hatte er den historischen Gleiter aus Verärgerung über das Smithsonian vorübergehend dem London Science Museum überlassen. Aber Orville stellte Bedingungen: Das Smithsonian musste sich für immer darauf festlegen, dass den Wrights mit diesem Flyer der erste kontrollierte Motorflug der Geschichte gelungen war (siehe dazu eine neuere Stellungnahme des Museums).
Es überrascht nicht, dass manche Forscher in diesem „Knebelvertrag“ einen wichtigen Grund dafür sehen, dass andere mögliche Kandidaten für den ersten Motorflug ignoriert werden, besonders Gustav Weißkopf, der vielleicht schon zwei Jahre vor den Wrights geflogen war.
Zeitalter der Pioniere
Zu Orvilles Lebzeiten (er starb 1948) war der Status der Wrights durchaus noch nicht unumstritten. Weißkopfs Versuche wurden in den 1930er Jahren von Journalisten recherchiert und bekannt gemacht, das Beweismaterial der Wrights dagegen kritisch hinterfragt. Und es gab ja noch weitere Flugpioniere, denen möglicherweise schon vor den Wrights kurze motorisierte Lufthopser gelungen waren, zum Beispiel Richard Pearse in Neuseeland, Clement Ader in Frankreich oder Karl Jatho in Hannover.
Aber wie dem auch immer gewesen sein mag: Mit ihren Innovationen, ihrem Geschäftssinn und ihrer Schutzrechtspolitik waren es Orville und Wilbur Wright, die den Beginn der Geschichte der Luftfahrt entscheidend prägten.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: John T. Daniels / Public domain via Wikimedia Commons, DEPATISnet, Public domain, via Wikimedia cCmmons, Otto Häckel / Bundesarchiv Bild 146-1972-026-35 CC by SA 3.0 via Wikimedia Commons, Cole & Co. / Public domain via Wikimedia Commons
Stand: 09.04.2024
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