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150. Geburtstag von Carl Bosch

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Mit Hochdruck Brot für die Welt

Er war die prägende Figur der deutschen Chemieindustrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Carl Bosch. Sein größter Verdienst war sein Beitrag zur Massenproduktion von Düngemitteln, dem bis heute indirekt ein Großteil der Weltbevölkerung seine Ernährung verdankt.

Carl Bosch wurde vor 150 Jahren, am 27. August 1874, in Köln geboren. Seinem Vater gehörte ein Installateursgeschäft. Dort arbeitete zeitweise auch sein Onkel Robert, der dann 1886 ein eigenes Unternehmen unter seinem Namen gründete, das bis heute weltweit erfolgreich und seit Jahren der größte Anmelder von Patenten beim DPMA ist.

Nach einer Schlosserlehre in der schlesischen Hüttenindustrie studierte Carl Bosch Maschinenbau und Hüttenwesen an der Technischen Hochschule Charlottenburg, danach Chemie in Leipzig. Das Studium schloss er mit einer Promotion in organischer Chemie („Über die Kondensation von Dinatriumacetondicarbonsäurediäthylester mit Bromacetophenon“) ab. 1899 begann Bosch seine berufliche Laufbahn als Chemiker bei der Badischen Anilin & Soda-Fabrik (BASF) in Ludwigshafen, wo er bis zum Vorstandsvorsitzenden aufsteigen sollte.

Fritz Haber, Professor an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, hatte wesentliche Forschungen zur künstlichen Herstellung von Ammoniak – dem Grundbestandteil agrarischer Düngemittel – vorgelegt und ein Verfahren entwickelt, das er der BASF überließ, die es zum Patent anmeldete ( pdf-Datei DE235421). Carl Boschs Aufgabe wurde es, für dieses Verfahren eine großindustrielle Umsetzung zu entwickeln.

Mit Hochdruck zum Erfolg

Carl Bosch as Nobel prize laureate

Carl Bosch auf seinem offiziellen Nobelpreisträger-Foto

Eine sehr schwierige Aufgabe! Unter anderem galt es, geeignete Reaktoren zu entwickeln, die extrem hohen Drücken und Temperaturen standhalten konnten. Bosch fand nicht zuletzt dank seiner metallurgischen Kenntnisse einen Weg und konstruierte Hochdruckreaktoren, bei denen verschiedene Stahlsorten mit unterschiedlicher Druck- und Hitzebeständigkeit verwendet wurden.

Mit seinem Team entwickelte er bis 1913 ein katalytisches Hochdruckverfahren zur Ammoniaksynthese, das als „Haber-Bosch-Verfahren“ bekannt wurde. Ein Meilenstein der Chemiegeschichte, denn die günstige Fabrikation von mineralischem Stickstoffdünger aus Ammoniak ermöglichte eine erhebliche Steigerung des landwirtschaftlichen Ertrags. Außerdem entstand so eine ganz neue Technologie: die Hochdrucktechnik sollte die chemische Industrie nachhaltig prägen.

Die weltweit erste Ammoniak-Synthese-Anlage entstand 1913 in Oppau bei Ludwigshafen. Nach einem Jahr produzierte sie bereits 40 Tonnen Ammoniak täglich.

Zahlreiche Patente

Ammoniak-Reaktor

Ammoniak-Reaktor nach Boschs Konstruktion, Oppau 1913

Boschs Arbeit führte zu einer Vielzahl von Patentanmeldungen, die in Deutschland aber alle nur im Namen des BASF eingetragen wurden, da damals bei Arbeitnehmererfindungen die Nennung des Urhebers noch nicht üblich war, z.B. „Verfahren zur Herstellung von Düngemitteln“ ( pdf-Datei DE332114), „Verfahren zur Herstellung von Harnstoff aus Kohlensäureverbindungen des Ammoniaks“ ( pdf-Datei DE332679), „Verfahren zur Herstellung von Ammoniumsulfat mit Hilfe von Calciumsulfat, Ammoniak und Kohlensäure“ ( pdf-Datei DE336767) oder „Verfahren zur Darstellung von Stickoxyden aus Ammoniak“ ( pdf-Datei DE366712).

Anders verhielt es sich etwa in den USA, wo zahlreiche Patente auf Carl Boschs Namen eingetragen wurden, etwa „Process of making ammonia“ ( pdf-Datei US957843A), „Production of nitrids“ ( pdf-Datei US1027312A), „Purification of hydrogen“ ( pdf-Datei US1133087A), „Apparatus for working with hydrogen under pressure“ ( pdf-Datei US1188530A) oder „Process and means relating to the production of ammonia“ ( pdf-Datei US1386760A (1,05 MB)).

Chemie im Krieg

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Aber die Ammoniak-Synthese ermöglichte nicht nur die Massenherstellung von Düngemitteln, sondern auch von Sprengstoff. Das wurde mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges entscheidend: Das Deutsche Reich konnte kriegsbedingt nicht länger den dringend benötigten Salpeter aus Chile einführen. Bosch, mittlerweile Direktor der BASF, gab der Heeresleitung das „Salpeter-Versprechen“: Seine Firma würde den bisher importierten Salpeter komplett durch synthetischen ersetzen. Ohne den Ammoniak der BASF wäre das deutsche Heer bereits nach kurzer Zeit wehrlos gewesen. BASF produzierte bis zum Kriegsende 1918 jährlich über 500.000 Tonnen Ammoniak für Munition und Granaten.

Auch Fritz Haber stellte sich in den Dienst der deutschen Kriegsführung: Er wurde zum „Vater“ der Kriegsführung mit Giftgas. Mit dem von ihm vorbereiteten und koordinierten ersten deutschen Gasangriff auf Ypern 1915 begann die finstere Geschichte der „C-Waffen“; Giftgas wurde zum ersten Massenvernichtungsmittel.

Nobelpreis für die Väter der modernen Düngung

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Dennoch erhielt Fritz Haber gleich nach Kriegsende den Chemie-Nobelpreis für die Ammoniak-Synthese. Einige Jahre später (1931) bekam auch Carl Bosch diesen Preis für seinen Beitrag zum Haber-Bosch-Verfahren. Er teilte ihn sich mit Friedrich Bergius „in Anerkennung ihrer Beiträge zur Erfindung und Entwicklung von chemischen Hochdruckverfahren". Es war das erste Mal in der Geschichte des Nobelpreises, dass die Erfindung eines technischen Verfahrens ausgezeichnet wurde.

Nach dem Ersten Weltkrieg nahm Bosch als Wirtschaftsberater an den Verhandlungen zum Vertrag von Versailles teil. Er trug dazu bei, die drohende Demontage der deutschen Nitrate- und Farbenfabriken zu verhindern. Dabei argumentierte er vor allem mit drohenden Hungersnöten, falls kein industrieller Dünger mehr hergestellt werden könnte. Der Nobelpreis für Haber stützte seine Argumentation, denn die Nobel-Akademie betonte damit die globale Bedeutung, die die Herstellung von Stickstoffdüngern innerhalb weniger Jahre für die Nahrungsmittelproduktion erlangt hatte.

Explosion in Oppau

Die Verwüstung im BASF-Werk Oppau nach der Explosion

Die Verwüstung im BASF-Werk Oppau nach der Explosion

BASF nahm nach dem Krieg die Produktion von Ammoniumsulfatnitrat im großen Stil wieder auf. Obwohl jetzt nur noch Dünger und kein Sprengstoff mehr produziert werden sollte, kam es 1921 zu einer verheerenden Explosion, bei der fast das gesamt Stickstoffwerkwerk in Ludwigshafen-Oppau zerstört wurde und 559 Menschen starben. Es war die größte zivile Explosion der deutschen Geschichte. Bosch ließ die Produktion von Ammoniumnitrat in Oppau sofort einstellen (erst lange nach seinem Tod wurde sie wieder aufgenommen).

Bosch, längst einer der wichtigsten Firmenlenker im Land, wurde 1925 zur Gallionsfigur der deutschen Chemieindustrie, als er den Zusammenschluss der wichtigsten Unternehmen zur „Interessensgemeinschaft Farbindustrie“ (I.G. Farben AG) koordinierte. Damit entstand der weltgrößte Chemiekonzern. Carl Bosch wurde Vorstandsvorsitzender.

Bosch und Hitler

I.G.-Farbe-Aktie mit Boschs Unterschrift, 1926

I.G.-Farbe-Aktie mit Boschs Unterschrift, 1926

In den 1930er Jahren wechselte Bosch in den Aufsichtsrat und wurde Nachfolger Max Plancks als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute: externer Link MPG). Seine Haltung zum Nationalsozialismus war zwiespältig: Einerseits kooperierte und profitierte er mit bzw. von Hitlers Wirtschaftspolitik (etwa bei der Herstellung von synthetischem Treibstoff). Andererseits setzte er sich für jüdische Kollegen und Wissenschaftler ein – etwa für Fritz Haber, der aus einem jüdischen Elternhaus stammte. Haber musste 1933 fliehen und starb wenig später im Exil. Zu einer von Max Planck organisierten Feier zu Habers Todestag im Januar 1935 erschien Bosch trotz Restriktionen demonstrativ mit allen Direktoren der I.G. Farben.

Richard Willstätter, einer der vielen überragenden deutschen Wissenschaftler mit jüdischen Wurzeln, die von den Nazis vertrieben wurden, gehörte zu Boschs Freunden. Er berichtete, Bosch habe ihm von einem Treffen mit Hitler erzählt, wo Bosch gewarnt habe, die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler werde die deutsche Physik und Chemie um hundert Jahre zurückwerfen. Hitler habe daraufhin gebrüllt: „Dann werden wir hundert Jahre lang ohne Physik und Chemie arbeiten!“ und das Gespräch beendet.

Carl Bosch verlor wohl auf politischen Druck Ende der 1930er Jahren seine Posten in der Industrie. Der innere Zwiespalt zwischen seinen wirtschaftlichen und nationalistischen Interessen auf der einen und seinen moralischen und wissenschaftlichen Überzeugungen auf der anderen Seite dürfte Boschs latente gesundheitliche und mentale Probleme noch verschärft haben. Depressionen und Alkohol setzten ihm nun schwer zu; er unternahm 1939 einen Suizidversuch. Ein Jahr später, am 26. April 1940, starb er in seiner Heidelberger Villa.

Text: Dr. Jan Björn Potthast, Bilder: DEPATISnet, Nobel Foundation / Public domain via Wikimedia Commons, BASF Negativnummer 1795 alt CC by-SA 3.0, Popular Mechanics Magazine 1921 / Public domain via Wikimedia Commons, Scan von Edhace V. Public domain via wWkimedia Commons

Stand: 11.09.2024