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Enrico Fermi

Enrico Fermi

Der Mann, der alles wusste

Er war einer der bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts geboren: Enrico Fermi. Oft nennt man ihn den „Vater des nuklearen Zeitalters“, da er den ersten Kernreaktor baute und an der Entwicklung der Atombombe mitwirkte. Aber Fermis Wirken geht weit darüber hinaus.

Fermi, der am 29. September 1901 in Rom geboren wurde, zeigte früh sein überragendes Talent. Mit 20 Jahren wurde er promoviert, mit 26 der jüngste Physikprofessor Italiens. Zwischendurch studierte er als Stipendiat bei Max Born in Göttingen. Schon früh befasste er sich intensiv mit Einsteins Relativitätstheorie und spürte der verborgenen Kraft der Atomkerne nach. Er schrieb 1923, dass es in naher Zukunft wohl nicht möglich sein werde, diese Energie freizusetzen, „denn der erste Effekt wäre eine Explosion, die so schrecklich wäre, dass sie den Physiker, der es versucht, in Stücke reißen würde". Er selbst sollte zwei Jahrzehnte später diese Energie entfesseln.

In Rom gelangen ihm bahnbrechende Forschungen beim Beschuss chemischer Elemente mit Neutronen. Er entdeckte, dass verlangsamte Neutronen reaktiver sind als schnelle. 1938 erhielt er den Physik-Nobelpreis "für seine Arbeiten über künstliche Radioaktivität, die durch Neutronen erzeugt wird, und für Kernreaktionen, die durch langsame Neutronen ausgelöst werden".

Flucht vor den Faschisten

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Von der Preisverleihung in Stockholm kehrte er nicht mehr heim: das faschistische Regime in Italien bedrohte seine jüdische Frau Laura. Fermi und Familie emigrierten in die USA, wo sich die Elite-Universitäten um den brillanten Forscher rissen.

Wie Fermi waren fast alle bedeutenden Atomphysiker aus dem Machtbereich Hitlers und Mussolinis nach Amerika geflüchtet, etwa Leo Szilard. Dieser hatte 1934 Patente angemeldet, in denen er unter anderem eine nukleare Kettenreaktion beim Überschreiten einer kritischen Masse skizzierte (u.a. pdf-Datei GB440023A (1,31 MB)). Szilard besaß also praktisch ein Patent auf das Funktionsprinzip der Kernenergie – und der Kernwaffen. Allerdings wollte der weitsichtige Physiker nicht, dass seine Ideen veröffentlicht wurden. Daher überließ der Exilant seine Patente der britischen, später der amerikanischen Regierung.

Schocknachricht aus Berlin

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Als Anfang 1939 die Nachricht von Otto Hahns und Fritz Straßmanns Berliner Uran-Experiment die USA erreichte, das Lise Meitner aus ihrem Exil in Schweden korrekt als erste Kernspaltung der Geschichte interpretierte, wurde Physik endgültig politisch.

Fermi, Szilard und andere Exilanten erkannten sofort die Bedrohung, die von einem Nazi-Deutschland mit Atomwaffen ausgehen würde. Szilard entwarf einen berühmten Brief, in dem Albert Einstein im August 1939 den US-Präsidenten auf diese Gefahr aufmerksam machte. Damit kam die sich nun stetig intensivierende Beschäftigung der USA mit der Kernenergie in Gang. Ab Ende 1941 wurde die Atomforschung gebündelt und schließlich im „Manhattan Project“ unter der Leitung von Robert Oppenheimer zusammengefasst, das zur Hiroshima-Bombe führte.

Der Reaktor unter der Tribüne

Chicago Pile 1: Schicht Nr. 7

Chicago Pile 1: Schicht Nr. 7

„Neutronenpapst“ Fermi war in dieser Entwicklung eine Schlüsselfigur: Er bereitete die erste kontrollierte Kettenreaktion der Welt vor. Am Morgen des 2. Dezember 1942 versammelten sich einige Dutzend Wissenschaftler und eine Handvoll Gäste unter der Tribüne des stillgelegten Football-Stadions „Stagg Field“ in Chicago. Dort, wo früher Studenten Squash gespielt hatten, war unter Fermis Leitung der „Chicago Pile 1“, kurz CP-1, entstanden. In diesem Meiler sollte eine sich selbst erhaltende Spaltungskettenreaktion in Gang gesetzt und kontrolliert werden.

Der Ur-Reaktor –„ein komischer Haufen aus schwarzen Blöcken und Balken“, wie Fermi ihn beschrieb - war ein 7,6 Meter hoher, fast kugelförmiger Stapel aus Blöcken. Er bestand aus 5,4 Tonnen Uranmetall, 45 Tonnen Uranoxid und 360 Tonnen Graphit. Schichten aus Graphit und Uran wechselten sich ab, wobei das Graphit das Uran vollständig umhüllte. Fermi und Kollegen nahmen an, dass die durch den natürlichen Zerfall von Uran freigesetzten Neutronen mit anderen Uranatomen instabile Isotope bilden, die wiederum in zwei verschiedene Elemente zerfallen und durch diese Kernspaltung neben weiteren Neutronen auch eine große Menge Energie freisetzen würden. Zur Steuerung der Reaktion wurden Cadmiumplatten verwendet, die in Schlitze im Reaktorkern abgesenkt werden konnten. Durch die Messung des Neutronenflusses konnte die Intensität der Reaktion beobachtet werden.

Mit dem „Chicago Pile" beginnt das nukleare Zeitalter

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Es gab keinen Strahlungsschutz und kein Kühlsystem. Der Versuchsreaktor leistete nur 0,5 Watt; die entstehende Hitze hielt sich in Grenzen. Denn Fermis CP-1, der erste Kernreaktor der Welt, war nicht zu Energiegewinnung entwickelt worden. Eigentliches Ziel der Arbeit war die Herstellung von waffenfähigem Plutonium aus Uran-238 für das „Manhattan Project“.

Das Experiment an jenem 2. Dezember verzögerte sich bis in den Nachmittag hinein. Leona Woods, die einzige Forscherin im "Chicago Pile-1"-Team, übernahm den Countdown. Die erste kritische Kettenreaktion begann um 15:22 Uhr und wurde nach 28 Minuten beendet. Der Beginn des Atomzeitalters wurde mit einer Flasche Chianti und Pappbechern gefeiert, dann ging man wieder an die Arbeit.

Geheime Patente

16. Juli 1945: Zündung der ersten Atombombe "Trinity"

16. Juli 1945: Zündung der ersten Atombombe "Trinity"

Die Erkenntnisse aus den Experimenten mit CP-1 und seinen Nachfolgern verarbeitete Fermi zu mehreren Patentanmeldungen, die er teilweise gemeinsam mit Leo Szilard einreichte: „Test exponential pile“ ( pdf-Datei US2780595A (1,6 MB), angemeldet Mai 1944, veröffentlicht erst 1957), „Neutronic reactor“ ( pdf-Datei US2798656A (5,18 MB), angemeldet Dezember 1944, veröffentlicht 1955) oder „Method of operating an neutronic reactor“ ( pdf-Datei US2798847A (5,97 MB), angemeldet Dezember 1944, veröffentlicht 1955). Alle Anmeldungen wurden von der US-Regierung geheim halten.

Fermi zog nach Experimenten mit weiteren Versuchsreaktoren nach Los Alamos und trug als führender Mitarbeiter des „Manhattan Projects“ entscheidend dazu bei, dass die USA am 16. Juli 1945 erstmals eine Atombombe namens „Trinity“ zünden konnten. Wenige Wochen später kam es zu den Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki mit den bis heute beispiellosen Verheerungen.

Der Letzte, der alles wusste?

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte Fermi nach Chicago zurück, wo er eine Professur annahm und Mitbegründer des „Institute for Nuclear Studies“ wurde, das später seine Namen tragen sollte. Dem Nobelpreis waren viele weitere Auszeichnungen und Würden gefolgt. Aber ihm blieb nicht viel Zeit: Wie viele andere Atomphysiker der ersten Stunde erlag er einem Krebsleiden und starb am 28. November 1954.

Nach Fermi, der nicht nur einer der brillantesten Physiker, sondern auch ein ungemein beliebter, fröhlicher Mensch gewesen sein soll, wurden Preise, Institute, Formeln, Paradoxe, Elemente und vieles mehr benannt. Sein umfassendes Wissen aus allen Bereichen der Physik oder auch seine Fähigkeit, rasche quantitative Einschätzungen ohne umfassende Datenlage geben zu können („Fermi-Probleme“), trugen dazu bei, dass man ihm praktisch alles zutraute: „The Last Man Who Knew Everything“ ist daher der Titel einer neueren Biographie.

Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: NARA / via Wikimedia Commons, DEPATISnet, Energy.gov / Public domain via Wikimedia Commons, Jack W. Aeby / Public domain via Wikimedia commons

Stand: 19.11.2024