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Charles Babbage

Charles Babbage 1860

Charles Babbage 1860

Der Rechner und die Lady

Vor 150 Jahren, am 18. Oktober 1871, starb ein Allround-Genie, das heute als „Vater des Computers“ gilt: Charles Babbage. Sein „Analytical Engine“ nahm viele Eigenschaften moderner Rechner vorweg. Nur erkannte seinerzeit kaum jemand das wahre Potential dieser Erfindung – außer Ada Lovelace, die für den Rechner das erste Programm schrieb. Lange nach ihrem Tod werden Babbage und Lovelace dafür als die Pioniere der Informatik gewürdigt und bis heute in zahlreichen Patentschriften zitiert (zuletzt u.a. pdf-Datei US020210149630A1 (4,44 MB)).

Babbage, der am 26. Dezember 1791 in London geboren wurde, war ein wissenschaftliches Multitalent. Er stammte aus einem reichen Elternhaus und studierte Mathematik und Chemie am Trinity College in Cambridge. Dort gründete er eine „Analytical Society“, später auch die „Royal Astronomical Society“. 1827 übernahm er den prestigeträchtigen Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik, den unter anderem Isaac Newton zuvor innegehabt hatte. Aber Babbage engagierte sich wenig für die Lehre, denn er hatte ein anderes Ziel: Er wollte eine leistungsfähige Rechenmaschine konstruieren.

Damals musste in der Astronomie und folglich in der Navigation zur Seefahrt sehr viel gerechnet werden. Die Flotte war die Lebensader des britischen Empire. Vielstellige Logarithmen mussten per Hand ausgerechnet, in der Druckerei gesetzt und als Tafeln ausgegeben werden – ein sehr fehleranfälliges Verfahren. Und Fehler in der Schiffsnavigation konnten tödlich sein. Daher träumte Babbage von einer Maschine, die sowohl rechnen als auch drucken konnte.

Dezimale Differenzmaschine

Teilstück des "Difference Engine"

Teilstück des "Difference Engine" im Science Museum London

Seit 1821 arbeitete er an einem „Difference Engine“. Seine Überlegungen stellte er 1822 unter dem Titel „Note on the application of machinery to the computation of astronomical and mathematical tables“ in der Zeitschrift der Royal Astronomical Society vor.

Diese „Differenzmaschine“ sollte eine automatische mechanische Rechenmaschine sein, die Polynomfunktionen tabellieren und logarithmische und trigonometrische Funktionen berechnen konnte. Sie sollte über eine Kapazität von 20 Dezimalstellen und einen Arbeitsspeicher verfügen. Die diskreten Ziffern waren durch Positionen auf Zahnrädern dezimal dargestellt (und nicht etwa durch binäre Ziffern, also "Bits").

Um so etwas zu entwerfen, musste Babbage sich zwangsläufig intensiv mit Maschinenbauverfahren auseinandersetzen. Dennoch überforderten seine Ideen das feinmechanische Können seiner Zeit. Auch die Kosten uferten aus, da Babbage seine Pläne ständig optimierte und weiterentwickelte. Aber es gelang ihm wiederholt, die britische Regierung zu überzeugen, in sein Projekt zu investieren. 1832 war ein per Handkurbel betriebenes Teilmodell aus rund 2000 Einzelteilen als Prototyp fertiggestellt, das sich heute im Science Museum in London befindet.

Aber nach einem Streit zwischen Babbage und seinem Ingenieur Joseph Clement scheiterte das Projekt. Aus bis zu 25.000 Teilen hätte der raumgroße "Difference Engine" bestehen sollen. Für das Geld, das die britische Regierung bis 1834 in die Maschine gesteckt hatte, hätte man seinerzeit angeblich etwa 20 Lokomotiven bauen können. Babbage hatte auch einen Teil seines ererbten großen Vermögens in die Maschine investiert.

Codes und Kuhfänger

Charles Babbage war übrigens nicht nur Mathematiker und Erfinder, sondern ein wahres Multitalent. Durch statistische Berechnungen lieferte er den Lebensversicherungsgesellschaften eine wissenschaftliche Kalkulationsgrundlage. Er befasste sich mit Verschlüsselungstechniken, wirkte an der Modernisierung des britischen Postsystems mit und erfand das Ophthalmoskop sowie den „Kuhfänger“ für Lokomotiven. Er bekämpfte Betrug und Fälschung im Wissenschaftsbetrieb ebenso wie laute Straßenmusiker. Außerdem analysierte er Arbeitsabläufe in Fabriken und entwickelte das „Babbage-Prinzip“, wonach eine spezialisierte Arbeitsteilung Lohnkosten senken kann. Karl Marx bezog sich in seinem „Kapital“ darauf.

Konzeption des „Analytical Engine“

Babbage um 1847

Babbage um 1847

Das Aus für den „Difference Engine“ war bitter für Babbage, aber er arbeitete bereits an einem noch umfassenderen, kühneren Projekt: dem „Analytical Engine“. Dessen Fähigkeiten sollten über den „Difference Engine“ noch deutlich hinausgehen. Der Rechner, den Babbage 1837 erstmals skizzierte, sollte die Grundkomponenten und die logische Struktur moderner Computer vorwegnehmen. Seine Speichereinheit sollte groß genug sein, um tausend 50-stellige Zahlen zu speichern. Erst um 1960 konnten Computer mit einer höheren Speicherkapazität gebaut werden!

Seine Komplexität übertraf alles, was bis dahin jemals an wissenschaftlichen Apparaten gebaut wurde. Auch seine Dimensionen: rund 55.000 Teile wären benötigt worden; der Rechner wäre länger als ein Waggon und 3 Meter hoch geworden. Eine Dampfmaschine sollte ihn antreiben. Es war vorgesehen, die Rechenoperationen mittels Lochkarten zu steuern – ähnlich wie bei den automatischen Webstühlen, die Joseph-Marie Jacquard 1801 erfunden hatte.

Lady Lovelace erkennt das Potential des Rechners

Ada Lovelace

Ada Lovelace (Gemälde von Margaret Sarah Carpenter)

Zu den wenigen Menschen, die Babbages Meisterwerk verstanden, gehörte Ada Lovelace. Geboren 1815 in London als Augusta Ada Byron King, war sie die Tochter des skandalumwitterten Dichters Lord Byron und der mathematisch begabten Anne Isabella Noel. Als Kind begeisterte sie sich für Erfindungen und erdachte Flugmaschinen. Sie erhielt Unterricht beim bekannten Mathematiker Augustus de Morgan, der ihr Talent zwar erkannte, aber trotzdem nicht gebührend förderte, weil er Frauen grundsätzlich für ungeeignet für die Wissenschaften hielt.

Mit 17 lernte die selbstbewusste Ada Babbage kennen. Sie erkannte das gewaltige Potential des „Analytical Engine“ – vielleicht sogar besser als Babbage selbst: „Ich denke nicht, dass Sie auch nur die Hälfte meiner Vorausahnungen besitzen und meines Vermögens, alle möglichen Eventualitäten zu sehen“, schrieb sie frech an Babbage.

“Die Maschine könnte auch andere Dinge außer Zahlen bearbeiten, wenn sich Objekte finden ließen, deren Beziehungen durch die abstrakte Wissenschaft der Operationen ausgedrückt werden können und die sich für Befehle und den Mechanismus des Geräts eignen“, schrieb sie in ihren berühmten „Notes“ zu dem Apparat.

Geburtsstunde der Informatik

Teil des "Analytical Engines" im Science Museum London

Teil des "Analytical Engines" im Science Museum London

Die Erkenntnis, dass die Maschine mehr als nur Zahlen verarbeiten könnte, wenn man die Regeln anderer Objekte für sie formalisieren würde, war revolutionär und wurde zu ihren Lebzeiten wohl nur von den wenigsten Menschen verstanden. Lovelace formulierte hier die Grundidee der Informatik: die systemische Verarbeitung von Informationen.

Lovelace gibt in ihrer visionären Deutung der Möglichkeiten der programmierbaren Maschine ein konkretes Beispiel: „Vorausgesetzt, dass beispielsweise die grundlegenden Beziehungen von gestimmten Klängen in der Wissenschaft der Harmonie und der musikalischen Komposition für solche Ausdrucksformen und Anpassungen geeignet wären, könnte die Maschine aufwändige und wissenschaftliche Musikstücke von beliebiger Komplexität und Umfang komponieren.“

Ihrer Zeit zu weit voraus

Lochkarten zur Steuerung des "Analytical Engine"

Lochkarten zur Steuerung des "Analytical Engine"

In ihren Anmerkungen zum „Analytical Engine“ findet sich auch ein Plan, wie sich mit Hilfe dieser „Hardware“ Bernoulli-Zahlen berechnen lassen. Die Anweisung enthält die arithmetischen Befehle und die Speicherorte aller Zwischenergebnisse und gilt deshalb heute als erste „Software“, als erstes Computer-Programm.

Eine künstliche Intelligenz sah sie in der Maschine jedoch nicht, da sie „keine Fähigkeit zur Erkenntnis analytischer Verhältnisse oder Wahrheiten“ besitze. Diese Einschränkung diskutierte Computer-Pionier und „Enigma“-Knacker Alan Turing ein Jahrhundert später als „Lady Lovelace’s Objection“ in einem berühmten Aufsatz, der Ada wieder in den Blickwinkel der Wissenschaft brachte. Diese Frage und das Thema allgemein sind heute brennender denn je.

Weiteres Teilstück des "Analytical Engine"

Weiteres Teilstück des "Analytical Engine"

Der „Analytical Engine“ wäre der erste mechanische Universalrechner gewesen, aber er wurde niemals fertiggestellt, obwohl Babbage bis an sein Ende dafür arbeitete. Erst 1941 sollte Konrad Zuse den ersten Allzweckcomputer Z3 bauen - mehr als ein Jahrhundert nach Babbage.

Lovelace starb schon 1852, Babbage 1871. Beide durften nicht miterleben, dass sie als Pioniere einer Technologie gefeiert werden, die 150 Jahre später die Welt dominiert.

Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: Unbekannter Fotograf / via Wikimedia Commons, The Board of trustees of the Science Museum London, Antoine Claudet / National Portrait Gallery via Wikimedia Commons, Margaret Sarah Carpenter via Wikimedia Commons, The Board of Trustees of the Science Museum London

Stand: 09.04.2024