Inhalt
Welttag des Fahrrads
Eine Erfindung mit viel Geschichte - und noch mehr Zukunft
Freiherr von Drais hätte seine helle Freude daran gehabt: Am 3. Juni ist der Welttag des Fahrrads. Die Vereinten Nationen würdigen damit die "Einzigartigkeit, Langlebigkeit und Vielseitigkeit des Fahrrads“. Seit Karl von Drais´ erster Ausfahrt mit seiner „Laufmaschine" in Mannheim vor rund zwei Jahrhunderten sei das Fahrrad ein „einfaches, erschwingliches, zuverlässiges, sauberes und umweltverträgliches nachhaltiges Verkehrsmittel“, so die UN. Sie will mit dem Welttag auch darauf aufmerksam machen, dass die Bedürfnisse von Radfahrern und Fußgängen vielerorts „weiterhin übersehen werden“.
Keine Frage: Fahrradfahren hat beträchtliche gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Vorteile. Rund die Hälfte aller innerstädtischen Pkw-Fahrten sind unter fünf Kilometer lang. Nach Schätzungen des Verkehrsministeriums könnten pro Jahr 7,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, wenn für 30 Prozent der Pkw-Fahrten in Städten unter sechs Kilometer das Fahrrad genutzt würde statt des Autos.
Der Weltradtag soll daher einerseits auf die zunehmenden Verkehrsprobleme durch motorisierte Fortbewegungsmittel aufmerksam machen, andererseits aber das Fahrrad als umweltfreundliches und gesundes Fortbewegungsmittel feiern.
Der flotte Freiherr
Blicken wir zum Welttag des Fahrrads zurück auf seine Ursprünge. Alles begann in der Kurpfalz. Die Bürger Mannheims staunten nicht schlecht an jenem 12. Juni 1817: Da sauste jemand auf einem hölzernen Gestell mit zwei Rädern durch ihre Straßen, ganz ohne Pferde! Karl Freiherr von Drais stellte ihnen hier seine neueste Erfindung vor: eine "Laufmaschine". Sie war das erste lenkbare, durch Muskelkraft betriebene Zweirad und somit der direkte Vorläufer unseres heutigen Fahrrads.
Drais fuhr an diesem Sommertag mit seinem Laufrad die fast 15 Kilometer lange Strecke von Mannheim zum Schwetzinger Relaishaus und zurück in nur einer Stunde. Das war schneller als die Postkutsche und eine echte Sensation. Drais wurde schlagartig berühmt. Seine Laufmaschine nannte man dem Erfinder zu Ehren oft auch "Draisine".
Am 12. Januar 1818 erhielt Drais für seine Laufmaschine vom badischen Herrscher ein zehnjähriges Großherzogliches Privileg, was heute einem Patent gleichkäme. Mit etwa 50 Pfund Gewicht war die Draisine aus Eschenholz nicht viel schwerer als moderne Stahlrahmenräder. Sie besaß bereits Klappständer, Gepäckträger und Bremse. Eine erhaltene Draisine kann heute in unmittelbarer Nachbarschaft zum DPMA im Deutschen Museum in München besichtigt werden.
Gewerblicher Rechtsschutz damals schwer durchsetzbar
Dank des Großherzoglichen Privilegs musste jede Draisine in Baden eine Drais-Lizenzmarke auf der Lenkstange tragen. Außerdem erhielt Drais noch ein „Brevet“ in Frankreich. Aber trotz des „Privilegs“ musste Drais erleben, wie seine Erfindung unerlaubt nachgebaut und verkauft wurde. Andere Bastler meldeten Drais´ Erfindung etwa in den USA oder Großbritannien für sich selbst zum Patent an. Der Freiherr verdiente an seiner Erfindung daher nur sehr wenig. Der gewerbliche Rechtsschutz steckte damals eben noch in den Kinderschuhen und endete meist an den zahlreichen Landesgrenzen der mitteleuropäischen Kleinstaaterei.
Bei den Plagiaten fehlte mitunter die Bremse, was zu Unfällen und einer Rufschädigung der Erfindung führte. Bald sahen sich etliche Städte (beginnend mit Mannheim) gezwungen, ein Verbot des Befahrens von Bürgersteigen mit Draisinen auszusprechen. Auf den damals meist sehr holperigen Straßen lief die Draisine nicht gut. Nach einem kurzen Boom verebbte daher die Begeisterung für die Laufmaschine wieder. Das hing auch damit zusammen, dass ihr Erfinder, der die Draisine zunächst mit verschiedenen öffentlichkeitswirksamen Fahrten und Auftritten intensiv beworben hatte, 1822 für einige Jahre als Geometer nach Brasilien ging.
Ein Vulkanausbruch und die Folgen
Die 20-Euro-Sondermünze zum 200. Jubiläum der Draisine
Drais war möglicherweise durch das „Jahr ohne Sommer“ 1816 inspiriert worden, ein Fortbewegungsmittel ohne Pferde zu erfinden: Infolge des Ausbruchs des Vulkans Tambora in Südostasien im Jahr zuvor kam es auf der Nordhalbkugel zu einer vorübergehenden Klimaverschlechterung mit viel Regen und Kälte; Missernten und Mangel an Hafer folgten. Die Menschen konnten oft weder sich noch ihre Pferde ausreichend ernähren und aßen sie deshalb lieber auf. Es war also naheliegend, über ein Verkehrsmittel ohne Zugtiere nachzudenken. Auf der 2017 geprägten 20-Euro-Jubiläums-Sondermünze zu Drais‘ Ehren ist daher ein Vulkan im Hintergrund zu sehen. Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht erwiesen, denn bereits 1813 hatte Drais (erfolglos) ein Patent auf einen kurbelbetriebenen „Wagen ohne Pferde“ beantragt. Außerdem hatte es bereits vor dem Tambora-Ausbruch eine Serie von nassen Sommern mit Missernten gegeben.
Einer der ersten freien Erfinder
Drais, geboren 1785 in Karlsruhe, war Patenkind des badischen Großherzogs. 1808 wurde er Forstmeister, aber zwei Jahre später bei vollem Gehalt vom Dienst freigestellt, damit er sich ganz auf seine Erfindertätigkeit konzentrieren konnte. 1818 wurde er außerdem zum Professor für Mechanik ernannt.
Der Freiherr war ein innovativer Mathematiker und vielseitiger Erfinder: Er entwickelte unter anderem eine Notenschriftmaschine, die beim Klavierspielen das Gespielte aufschrieb, eine Schnellschreibmaschine, einen Holzsparherd und eine Kochmaschine. Dennoch galt Drais gegen Ende seines Lebens eher als gescheiterter „verrückter Erfinder“ denn als technischer Innovator.
Angefeindet und isoliert
Dass Drais in seinen späteren Jahren gesellschaftlich zunehmend isoliert war, hatte auch politische Gründe. Sein Vater, der badische Geheimrat und Oberhofrichter Karl Wilhelm Ludwig Friedrich von Drais von Sauerbronn, war 1820 am Todesurteil für Karl Ludwig Sand beteiligt. Der radikale Burschenschaftler Sand hatte in Mannheim den Schriftsteller August von Kotzebue ermordet, den er für einen „Verräter des Vaterlandes“ hielt - ein früher Fall von Rechtsterrorismus. Nationalistische Studenten sahen deshalb einen Helden in Sand und feindeten seine Richter und ihre Familien an. Drais´ Vater soll seinem Sohn deswegen zu dem Aufenthalt in Brasilien geraten haben.
Andererseits machte Drais sich später auch bei der althergebrachten, restaurativen Obrigkeit unbeliebt, die ihn stets protegiert hatte. Im „Vormärz“ und in der Märzrevolution 1848 bekannte sich Drais zu den demokratischen Kräften und verzichtete auf seinen Adelstitel. Deswegen soll sogar ein Entmündigungsverfahren gegen ihn angestrengt worden sein. Als er 1851 in Karlsruhe starb, war er völlig verarmt, von vielen Seiten angefeindet oder lächerlich gemacht und gesellschaftlich praktisch geächtet.
Das häufigste Fahrzeug der Welt
Erst sehr lange nach seinem Tod setzte die Würdigung seiner Pionierleistungen ein. In den folgenden Jahrzehnten nach Drais´ Patent sorgten einige entscheidende technische Weiterentwicklungen wie der Tretkurbelantrieb für das Hinterrad, der luftgefüllte Reifen oder die Niederrad-Rahmenbauweise dafür, dass das Fahrrad seine bis heute gültige Form erhielt.
Heute ist es mit einer geschätzten Milliarde von Exemplaren weltweit das mit Abstand häufigste Fahrzeug: Allein in Deutschland soll es rund 70 Millionen "Drahtesel" geben. Auch Laufräder sind bis heute populär – hauptsächlich bei kleinen Kindern, neuerdings aber auch als Gehhilfe für Senioren.
In der DPMA-Patentdatenbank DEPATISnet können Sie sämtliche deutsche Patentschriften und auch die Dokumente der wichtigsten Patentämter und Organisationen weltweit rund um das Thema "Fahrrad" recherchieren. Allein im IPC-Bereich B62M1 "Antrieb von Radfahrzeugen durch den Fahrer" finden sich tausende von Patentschriften. Bis heute wird das Fahrrad – zusätzlich beflügelt durch den E-Bike-Boom – ständig weiterentwickelt, wie ein kleiner Blick auf neue Anmeldungen beim DPMA zeigt; beispielsweise "Schaltwerk mit Feder-Dämpfer-Baugruppe" ( DE102020209370A1), "Fahrradkette mit partiell reduzierter Außenkontur der Innenlasche" ( DE102020211481A1) oder "Erkennung von unerwarteten Ereignissen bei Elektrofahrrädern" ( DE102018100191A1).
Noch eine historische Fahrt von Mannheim aus
Gut 80 Jahre nach Drais´ erster Ausfahrt mit der Laufmaschine sollte ebenfalls in Mannheim eine weitere historische Fahrt beginnen: Bertha Benz´ Tour mit dem „Patent-Motorwagen No.3“ ihres Mannes Carl, mit der das Zeitalter des Automobils begann.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: iStock.com/FredFroese, DEPATISnet, Technoseum Mannheim, BADV / Hans-Jürgen Fuchs, gemeinfrei via Wikimedia Commons
Stand: 03.09.2024
Soziale Medien