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Schlitten-Patente einst und jetzt
„Schlittenartige Rodelkufe“ von Johann Uttenthaler (DE1605877), besser bekannt als "Zipfelbob"
Stilvoll bergab
Schlitten sind seit Jahrtausenden als Transportmittel bekannt, vor allem in schneereichen Gebieten. Im 19. Jahrhundert wurde das Rodeln dann als Freizeitvergnügen im Rahmen des aufkommenden alpinen Tourismus entdeckt. Mit der steigenden Popularität entstanden immer mehr neue Varianten des Schlittens. Aus dem einfachen Arbeitsgerät wurde ein vielseitiges Spaßinstrument mit den verschiedensten Ausprägungen. Zahlreiche Patente wurden besonders um die Jahrhundertwende angemeldet. Wenig überraschend: Die meisten davon stammen aus den alpintouristischen Kernländern Österreich und Schweiz.
Der klassische Hörnerschlitten wurde ursprünglich in den Bergen zum Abtransport gefällter Bäume verwendet – eine schwere und extrem gefährliche Arbeit. So mancher Holzknecht verunglückte, wenn er sein mit tonnenschweren Baumstämmen beladenes Gefährt ins Tal bugsieren musste.
Ganz ungefährlich ist das Rodeln bis heute nicht: die Wintersportorte verzeichnen jeden Winter hunderte Verletzte, mitunter auch tödlich Unfälle. Dabei war die Sicherheit der Schlitten von Anfang an ein Schwerpunkt bei der Entwicklung des modernen Freizeitgerätes.
Wie am besten bremsen?
So nimmt beispielsweise CH6964, der 1893 zum Patent angemeldete „Lenkbare Schlitten“, nicht nur die Form moderner Ski-Bobs vorweg, sondern verfügt auch über eine wirksame Handbremse. Erhöhte Sitzposition, ergonomischer Lenker und formschöne Gestaltung: dieser Schlitten erinnert optisch fast an eine Vespa. „Mittels dieses Schlittens ist ein leichtes und sicheres Lenken und Ausweichen ermöglicht“, so der Anmelder, die Korbflechterei Murgenthal aus dem Aargau. Ein weiterer Vorteil: „Das Kleider und Schuhe verderbende, leicht Anlaß zu Erkältungen gebende Lenken durch Kratzen mit den Füssen auf der Fahrebene wird mit diesem Schlitten umgangen“.
Auch CH41507, angemeldet 1908, konzentriert sich auf das sichere Bremsen: „Hemmvorrichtung für Schlitten“ von Alfred Bertsohmann aus Basel ist „dadurch gekennzeichnet, daß an einem an einem Schlitten feststehend anzuordnenden Halteorgan ein mit Sporn bewehrter Hemmschuh gelenkig gehalten ist, dessen Sporn dazu bestimmt ist, in die Fahrbahn eingetrieben zu werden“.
CH49351 von 1910 greift die Grundidee aus CH 6964 auf: Der „Schlitten mit durch ein und dieselbe Person betätigbarer Lenk- und Bremsvorrichtung“ verfügt über eine lenkbare Vorderkufe und sieht vor, „daß die Bremsvorrichtung· durch Einwirkung der Füße des Fahrenden auf ein die Bremsvorrichtung bildendes, im Unterteil des Schlittens eingebautes Hebelsystem betätigt werden kann“.
Auch CH66019 von 1913 setzt auf ein Bremssystem, überrascht aber mit einem lenkbaren Vorderrad statt einer Kufe. Erfinder Jaroslav Charfreitag aus Böhmen sah seinen Schlitten „dadurch gekennzeichnet, daß jede Schlittenkufe an den beiden untern Längskanten mit Schienen von halbrundem Querschnitt versehen ist, die von hinten nach vorn an Höhe abnehmen, bis sie in die untere Schlittenkufenfläche übergehen, wobei die Schienen aus Metall hergestellt sind, an dem der Schnee nicht haften bleibt, das nicht rostet und auf Schnee und Eis eine geringe gleitende Reibung aufweist“.
Eine ganz andere Lösung zum Lenken und Bremsen des Gefährts verfolgt CH38555 von 1907: Erfinder Fritz Gerber sieht gefederte Stäbe vor, die nach Bedarf nach unten in den Schnee gedrückt werden können. Diese sind am hinteren Ende der Kufen angebracht, denn es sei „eine bekannte Tatsache, daß das vordere Schlittenende immer viel weniger belastet ist, als das Hinterende, häufig infolge der Unebenheiten der Schlittenbahn mit letzterer überhaupt nicht in Berührung ist, so daß die Lenk- und Bremsorgane sehr oft nicht mit dem gewünschten Erfolg oder nicht im geeigneten Moment zur Wirkung gelangen“.
Rückblickend läßt sich feststellen, dass – sieht man von Kinderbobs ab – Schlitten mit Bremsen sich nicht durchgesetzt haben, trotz all dieser Ideen. Lenken und Bremsen ist beim Rodeln heute immer noch Aufgabe der Füße.
Wie kommt man bergauf?
Schlitten fahren nur bergab. Daher machten sich schon die Pioniere der Rodel-Patente Gedanken darüber, wie ein Schlitten angetrieben werden könnte, um auch auf Strecken ohne Gefälle nutzbar zu sein.
Der „Schlitten mit Stollenradantrieb“ ( AT59908) war – wenn er denn funktionierte – für den Nutzer sicherlich eine schweißtreibende Angelegenheit: Erfinder Johann Schönthaler aus der damals österreichischen Bukowina sah 1911 eine wuchtige dornenbewehrte Walze vor, die per Fußpedal angetrieben wurde. „Die Stollenradachse ist in dem gegabelten Vorderende einer Schwinge gelagert und trägt die Tretkurbeln, so daß durch Veränderung der Tretkraft die Anpressung des Rades an die Fahrbahn verändert werden kann, um den Unebenheiten der Fahrbahn Rechnung zu tragen“.
Noch mehr an der Alltagstauglichkeit darf gezweifelt werden bei AT18871B. Die „Antriebsvorrichtung für Schlitten“, die der Oberkrainer Ivan Cop 1903 anmeldete, setzt ebenfalls auf einen Pedalantrieb. „Die zur Fortbewegung dienenden an einem Gleitschuh gelenkig angeordneten Spieße (werden) unter dem Einfluß einer Zugfeder an ihren freien Enden aus dem Terrain herausgehoben und durch eine auf den Gleitschuh wirkende Druckfeder stets nach vorne gedrängt werden, während ein zweiter Gleitschuh, der seine Bewegung von der Hinterradkurbel durch Pleuelstangen erhält, entgegen der Wirkung der beiden Federn die Spieße mit ihren Enden in den Boden drückt und hierauf zurückstößt, wodurch die Fortbewegung des Schlittens erfolgt“.
Vom Schlitten mit Pedalantrieb zum Fahrrad mit Kufen: „Als Velo und als Schlitten verwendbares Fahrzeug“ nannte Eduard Frei aus Rapperswil seine Konstruktion von 1906. CH37831 sieht vor, „daß an einem Velo Gleitschienen mittelst Hebeln ein- und ausrückbar angeordnet sind und eine ein- und ausschaltbare Druckrolle durch Zahnräder mit einem Schaufelrad in Verbindung steht, zum Zweck, durch Heben oder Niederdrücken der Hebel die Gleitschienen ein- und auszurücken und die Umdrehung des hinteren Velorades auf das Schaufelrad zu übertragen“.
„Hybrider“ Pferdeschlitten
Ein Hybridfahrzeug würden wir heute wohl auch CH36014 nennen: „Als Wagen benutzbarer Schlitten“ von Rudolf Bopp aus Rüschlikon, angemeldet 1906, „ist ein Schlitten mit zwischen den Kufen liegenden Rädern und einem Hebelgestänge, welches geeignet ist, die Räder so zu verstellen, daß sie nach unten über die Kufen hinausragen, zum Zweck, den Schlitten zeitweise als Wagen benutzen zu können“. Dieses Prinzip findet bis heute bei touristischen Pferdeschlitten in den Wintersportorten Anwendung, bei denen etwa zur Überquerung von Straßen rasch Räder „zugeschaltet“ werden können.
Elegante Rohrgestänge
Schon in der Frühzeit des Alpentourismus wurden Schlitten entworfen, deren Gestaltung bis heute modern anmutet.
AT21427 beispielsweise, angemeldet 1904, sieht vor, dass der ganze Schlitten „aus einem einzigen, entsprechend gebogenen, vorzüglich nahtlosen Stahlrohre“ besteht. Die Enden des Rohrs bilden die charakteristischen Hörner.
Auch der Schlitten CH9763 von 1895 wirkt in seiner flachen, langgezogenen Metallrohrbauweise erstaunlich zeitlos.
Vorfahre des Ski-doo
Einen der ersten Kettenschlitten meldete Edouard Gfeller 1908 zum Patent an: „Als Schlitten verwendbares Straßenfahrzeug“ ( CH43719). Eine Idee für einen Antrieb findet sich in der äußerst knappen Patentschrift aber nicht; es ist nur die Rede von einer Gelenkkette, die sich „während der Fahrt um die Schlittenkufen bewegt“.
Erst Jahrzehnte wurden Motorschlitten mit Kettenantrieb marktreif. Einer der Pioniere war der Kanadier Joseph-Armand Bombardier, etwa mit seiner Anmeldung „Chain tread vehicle“ ( US2346351A).
Flotte Sitz-Skier
Ein besonderer Weg in der Entwicklung von flotten Wintersportgeräten wurde mit CH45574 eingeschlagen. Der Ungar Nikolaus Lezl meldete 1908 einen Schlitten zum Patent an, „bei welchem die Kufen, abweichend von den bisher gebräuchlichen Schlitten, nicht parallel nebeneinander, sondern in einer Linie hintereinander angeordnet sind, wobei die vordere Kufe drehbar ist und so ein Lenken dieses einspurigen Schlittens ermöglicht“. Dieser „Einspurige Schlitten“ ist der Stammvater all jener Spaßgefährte, die heute als „Snow-Bike“, „Ski-Bob“ oder „Sitz-Ski“ bekannt sind.
In der Schweiz gilt dennoch Christian Bühlmann-Balmer als Vater des „Velogemel“, wie die Ski-Bobs im Berner Oberland genannt werden. Der Grindelwalder hatte seinen „Einspurigen Lenksportschlitten“ aber erst 1911 beim Eidgenössischen Patentamt angemeldet ( CH52628).
Georg Gfäller aus Kiefersfelden entwickelte später ebenfalls einen einspurigen Schlitten (DE899591B), überarbeitete seinen Ansatz aber hin zu einem „Schlitten mit einer Hauptkufe und zwei lenkbaren Vorderkufen“, den er 1952 zum Patent anmeldete ( DE910620). Die Spur der Vorderkufen ist verstellbar: die am Lenkrohr sitzende Gabel ist seitlich ausziehbar und trägt an ihren beiden Enden Teleskopfedern, die gelenkig mit den Vorderkufen verbunden sind. Kurioserweise schlug Gfäller vor, dass dieser Schlitten auch mit Raketenantrieb, Tragflächen oder Wasserskiern ausgestattet werden könnte.
Populärer Plastikrutscher: der Zipfelbob
Eine populäre Innovation auf dem Schlittenmarkt wurde 1968 beim DPMA angemeldet: „Schlittenartige Rodelkufe“ von Johann Uttenthaler ( DE1605877). Im Zentrum der „Rodelkufe“ befindet sich „ein sich nach oben zwischen die Oberschenkel des Benutzers erstreckender, sattelnasenartiger Stützhöcker angeordnet, dessen sich nach oben verjüngender Teil einen mit seiner Achse schräg nach oben vorn geneigten Halte-, Brems- und Steuerknüppel bildet“. Als Inspiration soll eine Kohlenschaufel gedient haben, auf der man – den Stiel voraus – gen Tal rutschen kann. Nach diesem Steuerknüppel wurde der kleine Rutscher „Zipfelbob“ genannt. Er ging 1976 in Produktion und ist bis heute vor allem (aber nicht nur) bei Kindern beliebt.
Wenngleich es eigene Zipfelbob-Rennen gibt, so ist der Plastikrutscher jedoch (noch) nicht olympisch – im Gegensatz zum Rennrodel, der seit langem zum professionellen Wintersport gehört. Die hochgerüsteten Geräte haben mit dem klassischen Schlitten die zweikufige Grundstruktur gemein. Bei der Rennrodel sind aber die Kufen im vorderen Teil nicht starr mit dem Sitzgestell verbunden, sondern beweglich und lassen sich daher mittels Druck der Füße lenken.
Die Blaupause für eine moderne Rennrodel, „deren Oberbau durch große Beweglichkeit und Elastizität eine gute Anpassung der Kufen an alle Bodenverhältnisse gewährleistet“, wurde 1963 in der DDR zum Patent angemeldet: DD34241 beschreibt eine „Rennrodel mit beweglichen Kufen, dadurch gekennzeichnet, daß auf dem hinteren Stahlbock gekreppte Laschen durch eine Befestigungsschraube verstellbar angeordnet sind und als einzige starre Halterung dienen für elastische Holme, vorzugsweise aus Glasfiber, die ferner durch Halterungen mit einem geschlossenen Ring am vorderen Stahlbock und Ösen an dem vorderen Ende der Kufen beweglich eingeführt sind“.
Neue Ideen für ein altes Gefährt
Nun ist ein Schlitten im Prinzip ein sehr schlichtes Gerät. Aber dennoch werden bis heute immer wieder neue Details und Varianten erfunden. Ein paar Beispiele:
CH699428 von 2009 schlägt vor, taillierte Skier unter den Kufen zu montieren. Der „Schlitten mit geschwindigkeits-unabhängiger Carving-Steuerung“ sei „eine technisch einwandfreie Lösung für eine sauber kontrollierte Kurvenfahrt ohne Geschwindigkeitsverlust durch Schieben von Kufen oder einseitiges Bremsen“.
Den zahlreichen Ideen für Kinderschlitten fügt CH700370B1 (2009) eine weitere hinzu: auf einem Schneegleitbrett sind Sitz und Haltestange montiert. „Der Schlitten ist sowohl für präparierte Pisten als auch für das Tiefschneefahren geeignet. Kinder und Ungeübte können während der Fahrt von einem konventionellen Schlitten ausgeführt werden oder allenfalls leicht abspringen. Auch zum Ziehen von Kindern ist dieser Schlitten gut geeignet.“
Hinter dem wenig aussagekräftigen Titel „Lenkbarer Rodelschlitten mit zwei Kufen“ ( DE102006024926) verbirgt sich den Anspruch auf ein Gefährt, mit dem sich „insbesondere Kurven in kontrollierter Weise ohne größere Geschwindigkeitseinbuße fahren lassen und Richtungswechsel flüssig und rasch ablaufen, wie beim Skilauf bzw. beim Snowboardfahren“. Das soll durch gelenkige Verbindungen der Bauteile erreicht werden.
Eine Art Klassiker unter den zeitgenössischen Kinderschlitten sind auch Plastik-Bobs wie „Lenkbarer Schlitten“ von 1995 ( WO97/18118). Laut Anmeldung ist er „sowohl komfortabel ist als auch von jeder Personengruppe leicht und sicher bedienbar“. In der Praxis lieben ihn die Kinder auch wegen seines Geheimfachs unter dem Sitz, in das bis zu drei Schneebälle passen!
Soweit eine kleine Auswahl von Schlitten-Patentanmeldungen aus den letzten 130 Jahren. Erstaunlich ist, dass die bei weitem meisten Schlitten, die heute in Gebrauch sind, schlichte „klassische“ Holzschlitten nach traditioneller Davoser oder Rundhorn-Bauart sind, an deren Konstruktion sich seit Jahrzehnten so gut wie nichts geändert hat. Während der Markt bei anderen Freizeitgeräten wie Skiern oder Fahrrädern nach Innovationen geradezu lechzt, bleibt beim Schlittenfahren offenbar die Mehrheit bevorzugt beim Alten.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: DEPATISnet
Stand: 03.09.2024
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