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Die Jahre 1877 bis 1890: Ein Patentamt entsteht
Am 1. Juli 1877, einem Sonntag, wurde das Kaiserliche Patentamt im Zuge des neu in Kraft getretenen Patentgesetzes gegründet. Zuvor galten für die Anmelderschaft - je nach regionaler Zugehörigkeit zu einem der insgesamt 25 Kleinstaaten im Deutschen Kaiserreich - die Gesetze und Vorgaben für preußische, bayerische, württembergische, sächsische oder sonstige Patente. Die Errichtung eines einheitlichen deutschen Patentamts bot nun für die Erfindungen im kaiserlichen Deutschland - ganz gleich, ob etwa aus Bückeburg (Fürstentum Schaumburg-Lippe), Neustrelitz (Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz) oder Greiz (Fürstentum Reuß älterer Linie) - erstmals einen einheitlichen Schutz, nach einheitlichen Grundsätzen und mit einer einheitlichen Wirkung für das gesamte Gebiet des Deutschen Kaiserreichs.
Kaiserliches Patentamt in Berlin, erstes Dienstgebäude in der Wilhelmstraße 75 © Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 Nr. II9450
Während bei keinem der zuvor geltenden Patentgesetze eine Veröffentlichung der Patente vorgesehen war, sah das neue reichseinheitliche Gesetz nun vor, den wesentlichen Inhalt der Anmeldungen im Reichsanzeiger zu veröffentlichen und die vollständigen Anmeldungen öffentlich auszulegen. Nach der Erteilung wurden nach britischem Vorbild Patentschriften gedruckt.
Das erste Reichs-Patentgesetz bedeutete einen enormen Fortschritt für das Patentwesen und bot denjenigen, die eine Erfindung erfolgreich zum Patent angemeldet hatten, auch erstmals eine gesicherte gewerbliche Anwendbarkeit ihrer Erfindung jenseits der Grenzen des eigenen Bundesstaates. Diese Entwicklung auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes kam nicht von ungefähr: es war die Zeit der Hochindustrialisierung in Deutschland und in vielen Ländern Europas.
Karl Jacobi, der erste Präsident des Kaiserlichen Patentamts
Erster Präsident der neuen Behörde war von 1877 bis 1881 Dr. Karl Rudolf Jacobi, später "von Jacobi", nachdem er anlässlich seiner Entlassung aus dem aktiven Dienst in den Adelsstand erhoben worden war. Jacobi war Jurist und Ministerialbeamter mit über zwanzigjähriger Berufserfahrung in der Administration Preußens.
Dem Kaiserlichen Patentamt gehörten ferner 21 rechtskundige und technische Mitglieder sowie 18 weitere Mitarbeiter (Beamte, Angestellte und Arbeiter), darunter drei "Kanzleidiener" an.
Die Mitglieder waren dabei nicht hauptberuflich am Patentamt beschäftigt: Um ihre Nähe zur Praxis und dem jeweiligen Prüfstoff zu gewährleisten, übten sie eine entsprechenden Tätigkeit, beispielsweise als Chemiker, im Hauptberuf aus. Ehrenamtlich waren sie entweder als ständige Mitglieder (auf Lebenszeit oder für die Dauer ihrer hauptberuflichen Tätigkeit) oder als nichtständige Mitglieder (für fünf Jahre) ans Patentamt berufen worden.
Eine Wortmeldung, die aus der Reichstagssitzung vom 1. Mai 1877 überliefert ist, benennt Gründe, die aus damaliger Sicht gegen eine hauptberufliche Anstellung der Mitglieder des Kaiserlichen Patentamts gesprochen haben mögen: "Diese Patentgesuche sind keineswegs derart, dass sie den Männern, die damit beschäftigt sind, viel Reiz bieten oder größere geistige Anregung gewähren." Daher, so der Einwand weiter, könne bei einer hauptamtlichen Beschäftigung "sehr leicht die Gefahr entstehen, dass [...] ein Geist der Schablone in das Patentamt einzieht". Dies wäre freilich für den von allen Akteuren erhofften guten Ruf der Behörde nicht förderlich gewesen.
Zusammenarbeit von technischen und juristischen Mitgliedern
In der Festschrift, die anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Patentbehörde 1927 herausgegeben worden war, heißt es, in ihren ersten 14 Jahren - also von Errichtung 1877 bis zum Inkrafttreten der neuen (zweiten) Fassung des Patentgesetzes am 7. April 1891 - habe der Aufbau der Behörde "einen mehr vorläufigen Charakter gehabt. Sämtliche Mitglieder waren lediglich im Nebenamte tätig. Die rechtkundigen Mitglieder waren höhere Beamte anderer Behörden, die technischen Mitglieder Fachleute von anerkanntem Ruf, die teils als höhere technische Beamte anderen Reichs- und Staatsbehörden, teils der Industrie angehörten."
Wegen ihrer damaligen Zuständigkeit auch als Organ der Rechtsprechung war die Behörde (wie bereits erwähnt) sowohl mit technisch als auch mit rechtlich geschulten Mitgliedern besetzt. In der oben angeführten Festschrift wird ihre Zusammenarbeit untereinander folgendermaßen beschrieben: "In wechselseitiger Beeinflussung muss der Jurist für technische Dinge, der Techniker für juristische Fragen Verständnis erwerben, jener mehr gegenständlich, dieser mehr begrifflich zu denken lernen. Die angemessene, zur Erreichung dieses Ziels geeignete Besetzung der einzelnen Dienststellen des Patentamts mit Technikern und Juristen [...] erfordert eine sorgfältige Auswahl der Beamten, die für solche Zusammenarbeit Verständnis, Anlage und Neigung mitbringen müssen. Nach den bisherigen Erfahrungen lässt sich jedoch mit Genugtuung feststellen, dass die Zusammenarbeit der Techniker und Juristen sich im allgemeinen reibungslos und zufriedenstellend abgespielt hat."
Bestallungsurkunde von Werner Siemens (© Siemens Corporate Archives)
Einer dieser "sorgfältig ausgewählten" Mitarbeiter, die von Beginn an dem Kaiserlichen Patentamt angehörten und wesentlich zum Erfolg der neu errichteten Behörde beitrugen, war der Unternehmer, Erfinder und Politiker Dr. Werner von Siemens. Er hatte sich als Vorsitzender des damaligen "Patentschutzvereins" stark für die Schaffung eines einheitlichen deutschen Patentgesetzes und für die Errichtung einer Zentralbehörde für gewerblichen Rechtsschutz im Deutschen Kaiserreich eingesetzt.
Bei der Personalstärke von 40 kaiserlichen Bediensteten blieb es nicht allzu lange: Die starke Zunahme aller Dienstgeschäfte, insbesondere der Patentanmeldungen, führte bald zu Klagen wegen starker Überforderung und sogar Arbeitsüberlastung des Personals. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurde der Beamtenkörper verstärkt, was wiederum einen erhöhten Platzbedarf der Behörde nach sich zog.
Das Amt wächst und erweitert sich
Der erste Umzug fand bereits zwei Jahre nach Gründung des Kaiserlichen Patentamts statt: von der Wilhelmstraße 75, übrigens unmittelbar neben dem damaligen Dienstgebäude des Auswärtigen Amtes gelegen, ging es 1879 in die Königgrätzer Straße 10, die heutige Ebertstraße. In den Folgejahren kamen weitere Räumlichkeiten in diversen Berliner Gebäuden hinzu, so dass ein erneuter Umzug in einen ausreichend großen Dienstsitz, in dem alle Abteilungen des Patentamts wieder unter einem Dach sein sollten, unumgänglich wurde. Neue Adresse ab 1882 war das Gebäude in der Königgrätzer Straße 104-105. Dieser weiter südlich gelegene Straßenabschnitt heißt heute Stresemannstraße. Doch schon 1891 mussten die über 230 Bediensteten ein weiteres Mal umziehen - und auch dies sollte freilich nicht das letzte Mal sein.
Statistische Entwicklungen im Patentbereich von 1877 bis 1926
Der erhöhte Platzbedarf war Folge der veränderten Personalsituation sowie der stetig anwachsenden Zahl an Büchern, Zeitschriften und sonstigen Druckerzeugnissen, die in der amtseigenen Bibliothek insbesondere zur Prüfung der Neuheit einer angemeldeten Erfindung bereit gestellt wurden. Auch seltene historische Werke und amtliche Veröffentlichungen ausländischer Patentämter zählten von Beginn an zum Bestand der Bibliothek, der schon zwei Jahre später, 1879, auf insgesamt 12 900 Titel angewachsen war. Neben dem Kauf von in- und ausländischen Neuerscheinungen wurde der Erwerb von Patentdokumenten aus dem Ausland auch mittels Tausch ermöglicht: Bereits wenige Jahre nach seiner Gründung stand das Patentamt in Tauschbeziehungen zu 15 Ländern. Eine weitere wichtige "Bezugsquelle" für die Bibliothek waren Schenkungen, die dem Patentamt von Institutionen und Handelskammern (Programme und Jahresberichte), Firmen (Verkaufsprospekte), ausländischen Regierungen (Patentveröffentlichungen) oder Privatpersonen zugedacht wurden. Die Herstellung eigener Recherchegrundlagen hat der einst im Kaiserlichen Patentamt tätige Ingenieur R. Fiedler in seinem 1905 erschienenen Buch "Eine Stunde im Kaiserlichen Patentamt" (Verlag Mesch & Lichtenfeld, Berlin) beschrieben: Demnach wurden die Abbildungen amerikanischer Patentschriften, die in der wöchentlichen "Official Gazette" veröffentlicht wurden, sorgfältig ausgeschnitten, klassifiziert und eingeklebt und bildeten als sogenannter "amerikanischer Atlas" - mit vielen Tausend Klebezetteln - ein, wie Fiedler schreibt, "für manche Patentanmeldung verhängnisvolles Recherchematerial".
Nach dem Umzug des Kaiserlichen Patentamts im Jahr 1882 zählte auch erstmals ein öffentlicher Lesesaal für interessierte Nutzer zu den Räumlichkeiten der Bibliothek. Der im Patentamt zu allen technischen Gebieten dokumentierte und für den Verlauf einer Patentanmeldung mitentscheidende "neueste Stand der Technik" war hier für jedermann recherchierbar.
Patentschrift No. 1
Die Nachfrage nach dem neuen einheitlichen Patent in Erfinderkreisen war überragend: Während 1877 im Gründungs(halb)jahr 3 212 Patente angemeldet und 190 Patente erteilt worden waren, stiegen diese Zahlen in den Folgejahren stark an. 1890 wurden 4 680 Patente erteilt - bei 11 882 Patentanmeldungen.
Die Patentschrift Nr. 1 wurde für die Erfindung "Verfahren zur Herstellung einer rothen Ultramarinfarbe" von Johann Zeltner aus Nürnberg am 2. Juli 1877 ausgefertigt.
Ebenfalls aus dem Gründungsjahr des Kaiserlichen Patentamts stammt das Patent Nr. 1250 für die von Karl Linde aus München erfundene "Kälteerzeugungsmaschine". (1,43 MB) Diese und weitere bahnbrechende Innovationen von 1877 bis heute haben wir in unserer Postergalerie für Sie zusammengestellt.
Bilder: DPMA (soweit nicht anders angegeben)
Stand: 18.06.2024
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