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Das Rad neu erfunden

Dunlops erster Luftreifen im Scottish National Museum, Edinburgh

Dunlops erster Luftreifen im Scottish National Museum, Edinburgh

Vor 100 Jahren starb John Dunlop, der (Neu-)Erfinder des Luftreifens

Diese Geschichte ist recht bekannt: John Boyd Dunlop kann 1888 nicht mehr mit ansehen, wie sich sein Sohn auf einem Dreirad mit Hartgummireifen auf dem holperigen Straßenbelag in Belfast abmüht und erfindet für ihn den luftgefüllten Reifen. Nicht ganz so bekannt ist: Dunlop war nicht der erste, der diese Erfindung machte. Das Patent, das Dunlop auf seinen „Pneu“ erhielt, hätte nie erteilt werden dürfen.

John Boyd Dunlop, der vor 100 Jahren – am 23. November 1921 – starb, war ein Tierarzt aus Schottland, der sich im nordirischen Belfast niedergelassen hatte. Mit damals neumodischen Fahrgeräten wie dem Fahrrad hatte er eigentlich nicht viel am Hut, soll in seiner Praxis aber viel mit Gummi gearbeitet haben. Um das Dreirad seines Sohnes schneller und komfortabler zu machen, tüftelte er an der Ummantelung der Räder. Er entwickelte einen Gummischlauch, der mit Segeltuch umhüllt und auf eine Holzfelge geklebt wurde. Als Ventil soll ein Babyschnuller gedient haben.

Mit diesem luftgefüllten Reifen zischte Dunlop junior im Frühjahr 1888 glücklich über die Straßen Belfasts und hängte seine Kameraden spielend ab. Dunlop erkannte, dass der Luftreifen vielversprechend war und meldete Ende desselben Jahres seine Erfindung erfolgreich zum Patent an. Damit begann der Aufstieg der bis heute berühmten Marke Dunlop (u.a. 129659, DE-Wortmarke seit 1910; DE756765 oder EM005125489).

Ein anderer Schotte war schneller

Das erste Luftreifen-Patent von Robert William Thomson

Das erste Luftreifen-Patent von Robert William Thomson

Nur: Dunlop hätte dieses Patent niemals erhalten dürfen. Das Patentamt des Vereinigten Königreichs hatte übersehen, dass ein anderer schon rund 40 Jahre zuvor das Patent auf einen Luftreifen erhalten hatte.

Robert William Thomson (1822-1873) war ebenfalls Schotte und ein äußerst talentierter Erfinder. Im Alter von 23 Jahren erhielt er Luftreifen-Patente in Frankreich und den USA ( pdf-Datei US5104A). Sein Reifen bestand aus einem hohlen Gürtel aus indischem Kautschuk, der mit Luft aufgepumpt wurde und mit einer Lederhülle ummantelt war. Die Räder legten gleichsam "ein Luftkissen auf den Boden, die Schiene oder das Gleis“, auf dem sie liefen. Thomson führte seine "Aerial Wheels" im März 1847 im Londoner Regent's Park an Pferdekutschen vor.

Aber leider ging es Thomson wie so manchem genialen Tüftler: die Zeit war noch nicht reif für seine Erfindung; sie geriet in Vergessenheit. Dafür hatte er mit anderen Projekten mehr Glück. Er entwickelte u.a. den Füllfederhalter, neuartige Dampfmotoren und elektrische Zündvorrichtungen für Sprengungen, die den Eisenbahnbau enorm voranbrachten. Er starb als reicher und angesehener Mann.

Der beflügelte Radrennfahrer

John Boyd Dunlop, circa 1915

John Boyd Dunlop, 1915

John Boyd Dunlop soll nichts von der Erfindung seines Landsmannes gewusst haben, als er seine Idee beim Patentamt anmeldete. Er verbesserte seine Luftreifen weiter und ließ eine Serie von 50 Fahrrädern damit ausstatten. Mit einem dieser Räder gelangen William Hume, dem bis dahin erfolglosen Kapitän des Belfaster Cruisers' Cycle Club, plötzlich spektakulären Erfolge bei Radrennen.

Hume schlug am 18. Mai 1889 unter anderem den nationalen Meister Arthur Du Cros. Dessen Vater, der Unternehmer William Harvey Du Cros (1846–1918) erkannte das Vermarktungspotential der Erfindung. Er suchte den Kontakt zu Dunlop und gründete mit ihm zusammen am 18. November 1889 die „Pneumatic Tyre & Booth’s Cycle Agency“ in der Westland Row in Dublin, die bald in „Dunlop Pneumatic Tyre Co. Ltd.“ umbenannt wurde.

Der Siegeszug des Luftreifens begann. Bei den ersten Olympischen Spielen 1896 in Athen traten bereits alle Radfahrer mit Luftreifen an.

Rascher weltweiter Erfolg

Dunlop Werbung um 1925

Dunlop Werbung um 1925

Mit der steigenden Bekanntheit der Erfindung kam aber auch Thomsons Patent wieder ans Tageslicht. Dunlop verlor zunächst seinen Patentschutz. Das nutzten vor allem die Brüder Edouard und André Michelin aus Clermont-Ferrand und produzierten Luftreifen im großen Stil. Sie waren auch die ersten, die das aufstrebende Automobil mit Pneus ausstatteten und damit dessen Erfolgsgeschichte erheblich beschleunigten.

Dunlop entwickelte aber nun den Pneu beständig weiter und konnte für seine Verbesserungen neue Patente erlangen, die ihm wirtschaftlichen Erfolg sicherten (siehe u.a. pdf-Datei GB189311820A, pdf-Datei GB189410850A). Vor allem das bis heute nach ihm benannte Ventil bewies, dass er ein fähiger Erfinder war. Übrigens meldete er auch Entwicklung aus ganz anderen Bereichen zum Patent an, etwa eine Hautcreme ( pdf-Datei GB191024043A).

EM005125489

EM005125489, angemeldet 2006

Nur vier Jahre nach der Gründung seines Unternehmens wurde in Hanau die erste Auslandsniederlassung von Dunlop gegründet. Sie existiert bis heute. Dunlop sollte bald auch zahlreiche weitere Gummiprodukte wie Golf- oder Tennisbälle, Fußbodenbeläge oder Bremsbacken herstellen. Das Unternehmen wurde zu einem der ersten „global player“, einem weltweit produzierenden Unternehmen.

John Boyd Dunlop zog sich schon 1895 komplett aus dem Unternehmen zurück und widmete sich wieder seiner Tierarztpraxis. Nebenbei tüftelte er gemeinsam mit seinem Sohn an neuen Erfindungen, etwa an einem patentierten Eau de Toilette ( pdf-Datei FR434604) oder einer „Karburiervorrichtung für Explosionskraftmaschinen“ ( pdf-Datei AT15595).

Text: Dr. Jan Björn Potthast, Bilder: Scottish National Museum / Geni CC by SA 4.0 via Wikimedia Commons, DEPATISnet, via Wikimedia Commons, unbekannt / CC by S.A 4.0 via Wikimedia Commons, DPMAregister

Stand: 24.09.2024