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100. Todestag von Wilhelm Conrad Röntgen
Untersuchung mit Röntgen-Strahlen um 1906
Ein Foto, das die Welt veränderte
Alles begann an einem späten Freitagabend; es war der 8. November 1895. In Würzburg machte Wilhelm Conrad Röntgen eine der berühmtesten Entdeckungen der Wissenschaftsgeschichte: eine unbekannte, unsichtbare Strahlung. Diese „X-Strahlen“, wie er sie nannte, revolutionierten nicht nur die medizinische Diagnostik, sondern gaben den Impuls für weitere Forschungen, die das Atom-Zeitalter einläuteten.
Wie die Entdeckung in seinem Würzburger Labor (heute eine Gedächtnisstätte) genau vor sich ging, ist nicht überliefert; es befanden sich – wie Röntgen später sagte – „keine dienstbaren Geister mehr im Haus“. Er experimentierte mit Elektronenstrahlen in einem luftleeren Glasbehälter, einer Hittorfsche Röhre (erfunden vom Physiker Johann Wilhelm Hittorf). Mit einem Fluoreszenzschirm beobachtete er die Elektronenströme innerhalb der Röhre – und dann scheinbar auch außerhalb. Röntgen bemerkte nämlich, dass der Schirm auch in größerer Entfernung von der Röhre immer noch aufleuchtete, obwohl Elektronenstrahlen in der Luft nur wenige Zentimeter weit reichen.
„Eine neue Art von Strahlen“
Im Gegensatz zu anderen Forschern wie Crookes, Hertz und Lenard, die diesen Effekt möglicherweise bereits vor ihm erzeugt hatten, zog Röntgen die richtigen Schlüsse daraus: Es musste sich um „eine neue Art von Strahlen “ handeln. So nannte er die bahnbrechende Publikation, in der er am 28. Dezember 1895 seine Entdeckung beschrieb. Er taufte sie „X-Strahlen“.
Ihre spektakulärste Fähigkeit mag er vielleicht zufällig entdeckt haben, indem er seine Hand zwischen Röhre und Schirm hielt und dabei plötzlich seine eigenen Knochen sehen konnte. Weil er außerdem entdeckte, dass die X-Strahlen Fotoplatten schwärzen, konnte er ihre Existenz mit einem bahnbrechenden Bild beweisen: einer Aufnahme der Handknochen seiner (noch höchst lebendigen) Frau Anna.
Ein Bild geht um die Welt
Dieses erste Röntgen-Bild sorgte dafür, dass die Nachricht von seiner Entdeckung in Windeseile um die Welt ging. Nie zuvor hatte sich eine wissenschaftliche Erkenntnis derart schnell verbreitet und für solches Aufsehen gesorgt. Röntgen hatten den Grundstein für ein revolutionäres medizinisches Verfahren gelegt, das Diagnosen zum Körperinneren ohne chirurgische Eingriffe möglich machte. Er wurde dafür mit Auszeichnungen überhäuft und erhielt 1901 den ersten Nobelpreis für Physik.
Eine wissenschaftliche Karriere war ihm nicht unbedingt in die Wiege gelegt: Röntgen, der am 27. März 1845 als Sohn eines Tuchhändlers in Remscheid-Lennep (im Haus am Gänsemarkt 1, in der Nähe des Deutschen Röntgen-Museums) geboren wurde, flog in Utrecht ohne Abschluss von der Schule. Die Eidgenössische Polytechnische Schule in Zürich nahm ihn trotzdem auf, weil dort allein die Aufnahmeprüfung zählte. Er studierte Maschinenbau und promovierte mit einer Studie über Gase. Nach Stationen in Würzburg, Straßburg, Hohenheim und Gießen übernahm er als Nachfolger seines früheren Mentors August Kundt dessen Professur für Physik in Würzburg.
Verzicht auf Patent
Röntgen galt als introvertierter, zurückhaltender Mensch und als Idealist. Er verzichtete darauf, sich ein Patent auf die Erzeugung der X-Strahlen zu sichern: Ihre Nutzung zum Wohle der Forschung und der Menschheit sollte frei möglich sein (finanziell konnte er sich das leisten, war er doch durch Erbschaft zum Millionär geworden). In den folgenden Jahren gelangen dann Forschern wie Henri Bequerel oder Marie und Pierre Curie bahnbrechende Erkenntnisse in der Strahlungsforschung; Leopold Freund und Georges Chicotot wurden Pioniere der medizinischen Radiologie und Strahlentherapie. Röntgens Nachfolger wurden sich über die mit dem Röntgenprozess einhergehende Strahlenbelastung bewusst und wägen seither Nutzen und Risiken dieses bildgebenden Verfahrens genau ab.
Dem Gedanken, die Krankheit des Menschen nicht zu kommerzialisieren, wird auch im deutschen Patentgesetz Rechnung getragen. Aus sozialethischen und gesundheitspolitischen Gründen werden keine Patente für chirurgische, therapeutische und diagnostische Verfahren erteilt. Der behandelnde Arzt soll in der Wahl des medizinischen Verfahrens frei sein, damit er stets zum Wohle des Patienten handeln kann. Dieser Patentierungsausschluss gilt für Verfahren, nicht aber für Erzeugnisse. So mag ein neuartiges Röntgengerät patentierbar sein, ein spezielles Diagnoseverfahren mittels des Röntgengeräts jedoch nicht.
Anfeindungen
Dass Röntgen seinen Apparat nicht patentieren lassen wollte, mag edelmütig gewesen sein, aber ein Patent hätte ihm möglicherweise geholfen, Philipp Lenards Vorwurf des geistigen Diebstahls abzuwehren. Lenard, der für seine Kathodenstrahlungsforschung 1905 ebenfalls den Nobelpreis erhalten hatte, behauptete (vor allem nach Röntgens Tod) immer wieder, dieser habe seine Entdeckung entweder gänzlich von ihm gestohlen oder seine angeblich entscheidende Vorarbeit verschwiegen. Beide Anschuldigungen waren haltlos. Lenard, ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit, diskreditierte sich nach 1933 auch fachlich als Hitlers Hofphysiker und Wortführer der „Deutschen Physik“, die aus ideologischer Verblendung heraus wesentliche Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft (insbesondere Einsteins Arbeiten) verleugnete und negierte.
Röntgen musste das nicht mehr erleben. 1900 wechselte er als Vorstand des Physikalischen Instituts an die Ludwig-Maximilians-Universität München. Er forschte u.a. zur Thermo- und Elektrodynamik und zur Kristallphysik. Angebote aus der Wirtschaft zur Vermarktung der X-Strahlen lehnte er ebenso ab wie das angetragene Adelsprädikat. Sein Nobel-Preisgeld stiftete er der Würzburger Universität. Als Röntgen vor 100 Jahren, am 10. Februar 1923, in München starb, war er ein weltberühmter Mann.
Kontinuierliche Weiterentwicklung bis heute
Die Strahlen tragen im deutschsprachigen sowie im mittel- und osteuropäischen Raum seinen Namen, während sie anderswo „X-Strahlen“ heißen, wie Röntgen selbst sie genannt hatte. Neben der medizinischen Diagnostik nutzt man Röntgen-Strahlen beispielsweise auch, um chemische Analysen durchzuführen, verschiedene Schichten eines Gemäldes sichtbar zu machen oder Gepäckstücke am Flughafen zu durchleuchten.
Der Einsatz der Strahlen in der Diagnostik wird bis heute immer weiter perfektioniert. So war bereits die Röntgenröhre von Reinhold Burger 1901 ein wichtiger Schritt. Ein wichtiger Meilenstein war der Röntgencomputertomograph (CT) von Godfrey Hounsfield, der ebenfalls mit dem Nobelpreis (1979) ausgezeichnet wurde und immer weiter optimiert wird, was an aktuellen Patenten wie DE02012202107B4 ablesbar ist. Auch das Röntgenmikroskop wird bis heute immer weiterentwickelt, wie beispielsweise die Patente DE102005056404B4 (2013) oder EP2956945B1 (3,1 MB) (2017) zeigen. Weitere aktuelle Anmeldungen wie WO 002020005132A1 (2,35 MB), DE102020005740A1 oder DE112020003891T5 (1,05 MB) beweisen, dass noch immer viel Potenzial in den Strahlen steckt, die Röntgen einst entdeckte.
Text: Dr. Jan Björn Potthast; Bilder: Deutsches Röntgen-Museum
Stand: 24.09.2024
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